Droht eine neue Regierungskrise in London? Nach nur zwei Wochen im Amt hat der britische Premierminister Rishi Sunak bereits das erste Kabinettsmitglied verloren. Am Dienstagabend nahm Staatsminister Gavin Williamson, der ohne Ressort am Kabinettstisch gesessen hatte, seinen Hut. Der konservative Abgeordnete war in den vergangenen Tagen wegen Mobbingvorwürfen unter Druck geraten.
Williamson beschert seinem bisherigen Chef nun höchst unwillkommene Schlagzeilen, obwohl der doch eigentlich Aufbruchstimmung erzeugen und dem politischen Chaos in London ein Ende setzen wollte. Sunak hatte Williamson zwar noch kürzlich das Vertrauen ausgesprochen, dessen Wortwahl gegenüber einer Parteifreundin in publik gewordenen Textnachrichten jedoch als "inakzeptabel" bezeichnet. Der Regierungschef betonte, die Ergebnisse einer internen Untersuchung abwarten zu wollen. Doch als am Dienstag neue Vorwürfe aufkamen, zog Williamson selbst die Reißleine.
Zweifel an Sunak
Der Rücktritt des Staatsministers dürfte Zweifel daran nähren, ob Sunak in der Lage ist, seine zuletzt völlig zerstrittene und im Chaos versinkende konservative Regierungspartei in ruhigere Fahrwasser zu steuern. Er hatte das Amt des Premiers erst vor zwei Wochen von Liz Truss übernommen, die nach nur sieben Wochen im Amt von ihrer eigenen Fraktion zum Rücktritt gezwungen worden war. Truss wiederum hatte erst Anfang September die Nachfolge des wegen zahlreicher Skandale gestürzten Boris Johnson angetreten.
Heikel für Sunak ist besonders die Anschuldigung, ihm sei bereits bekannt gewesen, dass es Mobbingvorwürfe gegen Williamson gegeben habe, als er ihn ins Kabinett berief. Der Premier beteuerte zwar, keine Kenntnis von den konkreten Beschuldigungen gehabt zu haben. Doch die oppositionelle Labour-Partei sah ihn schwer beschädigt. "Das ist wieder einmal ein Beispiel für Rishi Sunaks schlechtes Urteilsvermögen und schwache Führung", sagte Labour-Vizechefin Angela Rayner. Der Regierungschef sei offenkundig an schmutzige Hinterzimmer-Deals gebunden, die er akzeptiert habe, um eine parteiinterne Stichwahl um die Truss-Nachfolge zu vermeiden.
Vorwürfe wiegen schwer
Die Vorwürfe gegen Williamson wiegen schwer: Laut den von der Zeitung "Sunday Times" veröffentlichten Whatsapp-Nachrichten hatte er versucht, mit teils derber Ausdrucksweise und Drohungen die damalige konservative Fraktionsvorsitzende Wendy Morton unter Druck zu setzen. Berichten zufolge wollte Williamson damit erreichen, nach dem Tod von Queen Elizabeth II. eine Einladung für die Trauerfeier im September zu bekommen.
Weitere Vorwürfe wurden von einem ehemaligen Mitarbeiter vorgebracht. Demnach soll Williamson dem Mann geraten haben, "sich die Kehle durchzuschneiden" und "aus dem Fenster zu springen". In seinem Rücktrittsschreiben stritt der Staatsminister die Vorwürfe ab. "Ich weise die Darstellungen in diesen Vorwürfen zurück, aber ich erkenne an, dass sie von der guten Arbeit ablenken, die diese Regierung für das britische Volk macht", schrieb Williamson in dem Brief an den Regierungschef.
Affäre zur Unzeit
Für Rishi Sunak kommt die Mobbing-Affäre zur Unzeit, weil er am 17. November seine Pläne vorstellen will, mit denen das teilweise von seiner Vorgängerin verursachte Milliardenloch im Haushalt gestopft werden soll. Doch es kommen noch andere Probleme hinzu.
Auch die Kritik an Innenministerin Suella Braverman will nicht abreißen. Die Politikerin, die zum rechtskonservativen Flügel der Partei gehört, stößt mit ihrem unbarmherzigen Vorgehen gegen Migranten auf immer stärkeren Widerspruch. Zuletzt machte eine hoffnungslos überfüllte Erstaufnahmeeinrichtung am Ärmelkanal Schlagzeilen. Der konservative Abgeordnete, in dessen Wahlkreis sich das Flüchtlingsheim befindet, spekulierte in Fernsehinterviews, die miserablen Zustände dort könnten von der Regierung absichtlich herbeigeführt worden sein. Es gilt nicht als ausgeschlossen, dass Braverman ebenfalls bald aus dem Kabinett ausscheiden könnte.
Bericht über Geschäftsinteressen seiner Ehefrau
Hinzu kommt ein für Sunak unangenehmer Bericht über die Geschäftsinteressen seiner Frau. Wie der "Guardian" am Wochenende berichtete, soll die indische IT-Firma Infosys, an der Sunaks Frau Anteile hält, entgegen anderslautender Ankündigungen weiterhin in Russland Geschäfte machen. Auf die Frage einer Journalistin des Nachrichtensenders Sky News, ob seine Familie finanziell von der Regierung des Kreml-Herrschers Wladimir Putin profitiere, entgegnete Sunak lediglich: "Ich denke nicht, dass das der Fall ist." Ob er am Mittwoch bei der Fragestunde im Parlament auch so leicht davon kommt, darf bezweifelt werden.