Als Joe Biden den Namen Rishi Sunak erwähnt, brandet Jubel auf. Der Aufstieg des 42-Jährigen mit indischen Wurzeln zum britischen Premierminister sei "ziemlich bemerkenswert", sagt der US-Präsident bei einem Empfang im Weißen Haus anlässlich des hinduistischen Lichterfests Diwali. "Es ist ein bahnbrechender Meilenstein. Und es ist bedeutungsvoll."

Indische Gemeinschaft ist sichtbar

Das ist es tatsächlich. Denn mit Sunak hat es erstmals eine "Person of Colour" ins höchste politische Amt Großbritanniens geschafft. Mit dem Begriff (im Plural "People of Colour") werden Menschen oder Gruppen bezeichnet, die immer wieder Rassismus ausgesetzt sind. Noch vor wenigen Jahren schien dies unvorstellbar. Zwar ist die indische Gemeinschaft längst eine sichtbare Minderheit in Großbritannien, doch galt die Angst vor rassistischen Erfahrungen lange als Hemmnis.

Über politische Grenzen hinweg wird die historische Entwicklung nun gewürdigt. David Lammy von der oppositionellen Labour-Partei spricht von einem "enorm bedeutsamen Moment für die sichtbare Vielfalt" des Landes. Sunaks Konservative Partei ist sichtlich stolz, dass sie es ist, die den ersten Hindu in der Downing Street stellt.

Besonders groß ist die Freude unter den schätzungsweise etwa 1,5 Millionen Britinnen und Briten mit indischen Wurzeln. "Das sind wunderbare Neuigkeiten, die von den 30 Millionen Menschen indischer Herkunft auf der ganzen Welt gefeiert werden, und sie werden von den 1,4 Milliarden Menschen in Indien gefeiert", sagt Karan Bilimoria, britisch-indischer Unternehmer und Präsident des Industrieverbands CBI. Sunder Katwala von der Denkfabrik British Future betont: "Das wird viele britische Asiaten stolz machen – einschließlich vieler, die Rishi Sunaks konservative Politik nicht teilen."

Großbritannien hat sich gewandelt. Als Liz Truss die Nachfolge des skandalumwitterten Premierministers Boris Johnson antrat, diente erstmals kein weißer Mann in einem der "vier großen Staatsämter" – Premierminister, Finanzen, Außen- und Innenministerium. In London ist mit Sadiq Khan ein Muslim Bürgermeister. Das Land sei deutlich fortschrittlicher als Deutschland, wenn es darum geht, Mitglieder ethnischer Minderheiten in Spitzenämter zu bringen, betont die deutsche Großbritannien-Expertin Helene von Bismarck nun.

Sunak, der seinen parlamentarischen Eid auf die Bhagavad Gita ablegte, eine der zentralen Schriften des Hinduismus, wurde 1980 in der südenglischen Hafenstadt Southampton geboren. Seine Großeltern stammen aus Indien und wanderten in den 1960er-Jahren aus Ostafrika nach Großbritannien aus. Der Vater von zwei Töchtern lebt seinen Glauben öffentlich aus. Als Finanzminister entzündete er zu Diwali vor der Tür seines Amtssitzes Kerzen. Nun wurde er ausgerechnet zu diesem Lichterfest, das den Sieg des Guten über das Böse symbolisiert, zum neuen starken Mann der britischen Politik gekürt.

In Indien ist die Freude über Sunaks beispiellosen Aufstieg fast noch größer als in den Reihen der Tories. Premierminister Narendra Modi schickte bereits vor dem Amtsantritt Glückwünsche. Der Fernsehsender NDTV betonte: "Indiens Sohn erhebt sich über das Kolonialreich." Viele Inder, die traditionell auf Menschen mit indischen Wurzeln stolz sind, die im Ausland Karriere machen, feiern in den sozialen Netzwerken eine Quasi-Umkehr der Machtverhältnisse – Indien machte sich vor 75 Jahren von der britischen Kolonialherrschaft unabhängig.

Angesichts der großen Herausforderungen, vor denen der neue Premier steht, dürfte seine Herkunft aber bald in den Hintergrund rücken. "Sunak wird danach beurteilt werden, ob er das Chaos in Westminster in den Griff bekommt, die öffentlichen Finanzen in Ordnung bringt und die politische Integrität wiederherstellen kann", sagt Experte Katwala. Und der Labour-Politiker Pat McFadden macht deutlich, die Opposition werde Sunak nicht schonen. "Die Partei, die er vertritt, ist Teil des Problems, nicht der Lösung", sagt McFadden der BBC.

Kritik an Sunak-Positionen

Bei allem Jubel – auch in der südasiatischen Gemeinschaft in Großbritannien gibt es Kritik. Das liegt zum einen an Sunaks politischen Positionen. So hatte er während des parteiinternen Wahlkampfs gegen Truss im Sommer angekündigt, an der harten und international kritisierten Migrationspolitik festzuhalten. Die Tories wollen Tausende Migranten, die illegal auf Schlauchbooten über den Ärmelkanal ins Land kommen, so bald wie möglich ins ostafrikanische Ruanda ausfliegen – unabhängig von deren Asylstatus.

Für Misstrauen sorgt aber auch Sunaks persönlicher Hintergrund als ehemaliger Investmentbanker, dessen Ehefrau die Tochter eines der reichsten Menschen in Indien ist. Die "Guardian"-Kolumnistin Nesrine Malik twitterte sarkastisch, Sunaks Amtsantritt sende eine starke Botschaft an People of Colour. "Wenn Sie auf eine Privatschule gehen, ein Vermögen anhäufen, der reichste Abgeordnete im Parlament werden und mit Ihrer Frau ein gemeinsames Vermögen haben, das größer ist als das des Königs, können auch Sie Premierminister werden."