Nach dem totalen Kollaps ihrer Finanz- und Steuerpläne am Montag dieser Woche findet sich Tory-Premierministerin Liz Truss in der eigenen Partei in einer zunehmend prekären Lage. Bei den Konservativen wächst der Ruf nach ihrer unverzüglichen Ablösung als Partei- und Regierungschefin. Mehrere ihrer Abgeordneten haben bereits offen ihren Rücktritt verlangt. Sie selbst ließ erklären, sie habe nicht die Absicht, zurückzutreten. Sie sei noch immer "Herrin der Lage" und übe in Downing Street "die Kontrolle" aus. Eine ihrer Parlamentarierinnen, Angela Richardson, fand aber, es sei schlicht "nicht mehr tragbar", dass Truss "noch länger auf ihrem Posten bleibt".

Mehrere Fraktionskollegen Richardsons haben sich bereits ähnlich geäußert. Beim Koordinator der Tory-Fraktion, Sir Graham Brady, sollen bereits 100 Briefe mit der Forderung nach einer Ablösung von Truss eingetroffen sein. Brady traf sich am Montag mit Truss, offenbar um mit ihr den Ernst der Lage zu besprechen. Auch konservative Kommentatoren sehen mittlerweile kaum noch eine Chance für die Premierministerin, sehr viel länger im Amt zu bleiben.

Verfügt die Premierministerin noch über Autorität?

Die Frage, über wie viel Autorität Truss überhaupt noch verfügt, wurde am Montag überall in Westminster gestellt, nachdem ihr neuer Schatzkanzler (Finanzminister) Jeremy Hunt am selben Tag nahezu ihr gesamtes Regierungsprogramm vom Tisch gefegt hatte – dasselbe Programm, das ihr im September noch zur Macht verhalf. Ohne Rücksicht auf die Höhe der Staatsverschuldung hatte Truss ja ihren Parteimitgliedern sofortige Steuersenkungen versprochen und diese Versprechen zusammen mit ihrem ursprünglichen Schatzkanzler Kwasi Kwarteng in Form eines "Mini-Budgets" umzusetzen versucht.

Die Idee des Ganzen war, dass radikale Steuersenkungen und Vergünstigungen für die Reichen im Handumdrehen für neues Wirtschaftswachstum sorgen würden. "Wachstum, Wachstum, Wachstum" war der Slogan von Truss. Das Maßnahmenpaket, das ein enormes Loch in die Staatsfinanzen gerissen hätte, löste unmittelbar heftige Marktturbulenzen aus, ließ das Pfund scharf absacken, trieb Hypothekenzinsen und Kosten für Staatsanleihen in die Höhe und zwang die Bank von England zu einem Noteingriff, um den Kollaps von Rentenfonds zu vermeiden.

Kernprojekte gekippt

In der Folge mussten Truss und Kwarteng, um Schlimmeres zu verhindern, auf geplante Steuererleichterungen für Topverdiener im Lande verzichten. Vorige Woche gab Truss auch ihren zentralen Plan einer Herabsetzung der Körperschaftssteuer auf. Zur gleichen Zeit feuerte sie ihren Weggefährten und Gesinnungsgenossen Kwarteng, um sich selbst zu retten. In die Enge gedrängt, ernannte sie den früheren Außenminister Jeremy Hunt zu ihrem neuen Schatzkanzler – in der Hoffnung, mit Hunts Ernennung die Wogen zu glätten im Land.

Hunt aber strich schon am Wochenende heraus, dass Truss "Fehler" gemacht habe, die er nun korrigieren müsse. Am Montag strich er fast das ganze Maßnahmenpaket von Truss, das "Mini-Budget". Nur zwei Reformen, die schon eingeleitet waren, sollen nun in Kraft bleiben, darunter eine Abänderung der Grunderwerbssteuer, die Haus- und Wohnungskäufern zugutekommt. Dagegen soll die Einkommenssteuer nicht, wie von Truss geplant, reduziert werden. Das war, neben der Frage der Körperschaftssteuer, ein Kernprojekt der Premierministerin. Auch mehrere andere Steuersenkungen wird es nun nicht geben. Und die vorgesehene Energiepreis-Deckelung, die Truss so stolz herausgestrichen hatte, soll nicht mehr zwei Jahre, sondern nur noch sechs Monate gelten.

Hunt begrub Truss' Vision

Außerdem, kündigte Hunt an, müssten ganz generell die öffentlichen Ausgaben beschnitten werden – was Truss noch vor wenigen Tagen ausgeschlossen hatte. Auch weitere Steuererhöhungen könnten kommen, meinte Hunt. "Solide Verhältnisse" hätten Priorität, erklärte der neue Finanzminister am Montag mehrfach. Mit dieser 180-Grad-Wende begrub er faktisch die politische Vision und alle Wahlversprechen der erst im September ins Amt gekommenen Premierministerin. Mit ihrem ebenso fundamentalen wie unabgesicherten Steuersenkungsprogramm zugunsten der Reichsten und zulasten der Armen hatte Truss sich im Kampf um die Nachfolge Boris Johnsons in Szene gesetzt gegen ihren "orthodoxen" Hauptrivalen Rishi Sunak – und die Parteibasis in diesem Sommer für sich eingenommen.

"Wirkliche Macht" bei Hunt?

Diese Woche fragen sich ihre Anhänger wie ihre Gegner, warum sie überhaupt noch in No. 10 Downing Street sitzt. Die "wirkliche Macht" liege jetzt bei Finanzminister Hunt, meinten am Montag immer mehr Tory-Politiker, teils erleichtert, teils bestürzt. Truss Rezepte seien jedenfalls auf spektakuläre Weise gescheitert, urteilte man in der Reihe der Labour Party. Der Chef der Liberaldemokraten, Sir Ed Davey, verlangte sofortige Neuwahlen. Die Tories, sagte er, hätten "schon jetzt die britische Wirtschaft demoliert". Die Geldmärkte reagierten positiv, wiewohl noch abwartend, auf Hunts Kehrtwende. Liz Truss aber ließ sich an diesem Tag erst einmal nirgends blicken. Zur Beantwortung einer eiligen Anfrage der Opposition schickte sie ihre Ministerin Penny Mordaunt ins Unterhaus.