In der früheren jugoslawischen Teilrepublik Bosnien und Herzegowina sind am Sonntag alle politischen Institutionen gewählt worden; der Staat der muslimischen Bosniaken, der orthodoxen Serben und der katholischen Kroaten existiert auf der Basis politisch genau austarierter Kräfteverhältnisse zwischen diesen drei Volksgruppen. Daher gibt es viele Institutionen, und daher liegt auch noch kein Endergebnis für alle Vertretungskörper vor.
Traditionell am raschesten ausgezählt wird das Ergebnis zum Staatspräsidium, das aus je einem Vertreter der drei sogenannten konstitutiven Völker besteht. Jede Volksgruppe wählt einen Vertreter, sodass im Grunde der Wahlkampf nur zwischen den Bewerbern des jeweiligen Volkes stattfinden sollte. Das stimmt auch für die Serben und die Bosniaken. Bei den Serben konnten sich die Nationalisten der Partei SNSD unter Milorad Dodik klar gegen die gemäßigtere Opposition durch. Dodik selbst war bisher Mitglied des Staatspräsidiums und kandidierte nun für das Amt des Präsidenten des serbischen Teilstaates (Republika Srpska). Die bisherige Inhaberin dieses Amtes Željka Cvijanović gewann die Wahl für den serbischen Sitz im Staatspräsidium ebenfalls klar. Auch bei allem anderen Institutionen konnten sich Vertreter der SNSD als stärkste Kraft behaupten, doch liegen hier noch keine Endergebnisse vor.
Diskontinuität bei den Bosniaken
Dieser Kontinuität im serbischen Lager stehen Diskontinuität und Fragmentierung bei den Bosniaken gegenüber. So verlor Bakir Izetbegović, der Sohn des Staatsgründers Alija Izetbegović, den Kampf um den bosniakischen Sitz im Staatspräsidium haushoch gegen den Sozialdemokraten Denis Bećirović, der von einer Elf-Parteien-Koalition unterstützt wurde. Dabei ging es vor allem um die Abwahl des „Izetbegović-Klans“, der es über die vielen Jahre an den Schalthebeln der Macht mit Korruption, Nepotismus und Freunderlwirtschaft selbst für bosnische Verhältnisse zu weit getrieben hat. Bećirović, gilt als proeuropäisch, doch muss sich erst zeigen, wie groß der kleinste gemeinsame Nenner der 11 Parteienkoalition ist, und wir stark diese Parteien auch im Parlament vertreten sind.
Für Kontinuität sorget auch die Wahl des kroatischen Mitglieds im Staatspräsidium. Bereits zum sechsten Mal setzte sich der aus Sarajewo stammende Željko Komšić durch, und dieses Mal mit 25.000 Stimmen Vorsprung gegen den aus Mostar stammenden Borjan Krišto. Komšićs Wahl ist der ständige Stachel im Fleisch der führenden kroatischen Partei HDZ; denn in der Föderation bilden Bosniaken und Kroaten einen Wahlkörper, und in schöner Regelmäßigkeit gewinnt Komšić nach Wählerstromanalysen durch die Stimmen von Bosniaken, die ebenfalls dem „Kroaten“ ihre Stimme geben, weil er für einen Staat eintritt, der bürgerlich und nicht ethnisch aufgebaut ist. Komšić hängen ausländische Journalisten immer wieder den schmückenden Beinahmen „bürgerlicher Reformer“ verliehen. Abgesehen davon, dass dieser Beiname nicht durch großartige Taten belegt ist, fehlt Komšić eigentlich eine politische Hausmacht, so dass es fraglich ist, ob seine Wahl den Unmut aufwiegt, den sie bei den Kroaten und in Kroatien verursacht.
Wirbel um Wahlreform
Für eine genaue Analyse der Kräfteverhältnisse sind die endgültigen Ergebnisse der Wahlen abzuwarten. Bisher dauerte die Bildung der Institutionen und der Regierungen vor allem in der Föderation unverhältnismäßig lange, während es im zentralistischen serbischen Teilstaat, der kriegsbedingt auch national viel homogener ist, deutlich schneller geht. Der Hohe Repräsentant der UNO für Bosnien, der Deutsche Christian Schmidt, will dieses Mal beschleunigend eingreifen und „kräftig nachhelfen“, in dem er seine Sondervollmachten nutzt; das tat Schmidt bereits unmittelbar nach Wahlschluss, und verordnete eine Änderung des Wahlrechts, die unter anderem auch jenen Gruppen das passive Wahlrecht gewähren soll, die sich zu keiner der drei Volksgruppen bekennen. Schmidts Vorgangsweise stieß bei der EU-Delegation sowie bei Vertretern europäischer Linksparteien, die als Wahlbeobachter im Einsatz waren, auf wenig Gegenliebe bis verhohlene Kritik. Die USA stellten sich hinter Schmidt. Diese politischen Scharmützel zeigen, dass der „Westen“ an einer einheitlichen Linie zu Bosnien und Herzegowina wohl noch arbeiten muss, um das Land klarer auf Reformkurs zu bringen.