Immer mehr Russen fliehen nach der von Kremlchef Wladimir Putin angeordneten Teilmobilmachung für seinen Krieg gegen die Ukraine ins Ausland. Am Freitag informierte die zentralasiatische Ex-Sowjetrepublik Kasachstan über vermehrte Migration aus Russland. Zuvor hatten etwa auch die Ex-Sowjetrepubliken Armenien und Georgien über massenhafte Einreisen gesprochen. Stark frequentiert ist weiterhin die südöstliche Grenze nach Finnland. Die Führung in Moskau beklagte "Hysterie".

Kremlsprecher Dmitri Peskow forderte dazu auf, sich ausreichend zu informieren. "Es lässt sich irgendwie verstehen, dass es in den ersten Stunden nach der Bekanntgabe und auch noch am ersten Tag eine hysterische, äußerst emotionale Reaktion gegeben hat, weil es tatsächlich unzureichende Informationen gab", sagte Peskow. Inzwischen aber gebe es auch Hotlines, um telefonisch Fragen zu klären.

Geschützte Berufe

Das Verteidigungsministerium in Moskau schloss Reservisten mit bestimmten Berufen von der Zwangsrekrutierung aus. So würden etwa IT-Spezialisten, Experten zur Sicherung des Finanzsystems oder auch Mitarbeiter der staatlichen Propagandamedien, die zu den "systemerhaltenden" Berufen gehörten, nicht eingezogen, teilte das Ministerium in Moskau am Freitag mit. Geschützt sind demnach Redakteure, Verleger, Mitarbeiter von Fernsehen, Radio und Zeitungen. Sie gehören zu Putins wichtigen Machtstützen.

Angesichts der Einberufung von Reservisten für den Krieg in der Ukraine verließen Tausende Männer fluchtartig das Land. Flüge sind über Tage ausgebucht und mit mehreren Tausend Euro so teuer, dass es sich viele schlicht nicht leisten können. Der Exodus gilt als Gefahr auch für die russische Wirtschaft. Schon nach dem von Putin angeordneten Einmarsch in die Ukraine im Februar hatten Zehntausende Menschen das Land verlassen. Für den Krieg in dem Nachbarland will Putin mindestens 300.000 Reservisten einziehen lassen.

Ausreiseverbot für Reservisten

Der Chef des Verteidigungsausschusses im russischen Parlament, Andrej Kartapolow, erklärte mit Blick auf die Flucht, dass zwar nach dem Gesetz zur Mobilmachung ein Ausreiseverbot für Reservisten bestehe. Weil es sich aber um eine Teilmobilmachung handelt, werde das Gesetz nicht angewendet. Reisen innerhalb Russlands und ins Ausland seien deshalb erlaubt. Er empfahl aber Reservisten, die unsicher sind, sich selbst an der Einberufungsstelle einzufinden, um zu klären, was erlaubt ist und was nicht.

Die Ziele in früheren Sowjetrepubliken sind besonders beliebt, weil Russen dort kein Visum brauchen. Außerdem ist die russische Sprache verbreitet. Auch die Türkei ist ein Ziel für Kriegsdienstverweigerer. Von den EU-Staaten, die an Russland grenzen, ließ vor allem Finnland noch Russen einreisen. Allerdings nur mit einem Schengen-Visum.

"Mehr los als gestern"

"Heute Morgen ist immer noch viel los ... vielleicht noch ein bisschen mehr als gestern", sagte ein Sprecher des finnischen Grenzschutzes am Freitag. Die längste Schlange bildete sich am stark frequentierten Grenzübergang Vaalimaa. Dort stauten sich die Autos auf einer Länge von etwa 500 Metern. Auch am zweitgrößten Grenzübergang Nuijamaa waren die Warteschlangen "länger als sonst", hieß es.

Allerdings will das EU-Mitgliedsland den meisten Russen die Einreise verwehren. Der Grund sei der zunehmende Grenzverkehr zwischen den beiden Ländern nach der Ankündigung einer Teilmobilmachung in Russland, sagte Ministerpräsidentin Sanna Marin. Finnische Grenzübergänge gehören zu den wenigen Einreisemöglichkeiten für Russen nach Europa. Die ebenfalls an Russland grenzenden EU-Länder Estland, Lettland, Litauen und Polen weisen schon seit einigen Tagen russische Staatsbürger an den Grenzen ab.

Langwierige Kontrollen

Die Zahlen der Einreisen mit dem Auto stiegen an verschiedenen Übergängen, teilte auch der kasachische Grenzschutz mit. Vier der insgesamt 30 Grenzübergänge seien besonders belastet. Die Lage sei unter "besonderer Kontrolle", hieß es. Ein Augenzeuge sagt der Nachrichtenagentur Reuters, sie stünden bereits seit Donnerstagfrüh an der Grenze im Stau. Viele der Menschen hier seien Männer in wehrpflichtigem Alter. Russische Grenzschützer führten gründliche und langwierige Kontrollen durch.

Unterdessen wachsen in den Ex-Sowjetrepubliken angesichts der Vielzahl an Russen, die schon zu Beginn des von Putin angeordneten Krieges gegen die Ukraine eingereist sind, die Sorgen. So stiegen etwa wegen der Nachfrage nach Wohnraum die Mietkosten und die Preise für Eigentum, wie etwa der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan beklagte.

Sorge in Kasachstan

Das kasachische Außenministerium bestätigte, dass es Sorgen bei den Einheimischen gebe. "Die Stabilität unseres Staates unter den Bedingungen von Turbulenzen um ihn herum wird ernsthaft auf den Prüfstand gestellt", hieß es in der Mitteilung. Die nationale Sicherheit habe in der "schweren geopolitischen Situation" Vorrang.

Zugleich appellierte das Ministerium an die Mitmenschlichkeit seiner Bürger und an die moralischen Grundsätze. "Wir glauben daran, dass unsere Bürger Weisheit zeigen und den Traditionen der Gastfreundlichkeit treu bleiben", teilte die Behörde mit. Die Infrastruktur und der Dienstleistungssektor des Landes seien in der Lage, mit den Aufgaben der Migration fertig zu werden.