So viele Staats- und Regierungschefs sind in London angereist, um Königin Elizabeth am Montag das letzte Geleit zu geben, dass die britische Hauptstadt schon am Wochenende völlig überwältigt schien. 500 hohe Repräsentanten aus fast allen Ländern der Erde haben sich zu einem Ereignis an der Themse versammelt, das als das spektakulärste seiner Art in der neueren Geschichte gelten darf.
Allein die Organisation des Anflugs so vieler hochrangiger Gäste hat enorme Probleme aufgeworfen. Die Regierung hatte die Anreisenden gebeten, statt Privatjets kommerzielle Flüge zu benützen. Aber auch so war der Flughafen Heathrow, Europas größter Airport, komplett überlastet. Stansted, das über mehr Platz für diskrete Ankünfte verfügt, wurde zusammen mit anderen Flughäfen als „Überlaufbecken“ benutzt.
Hunderttausende Zaungäste erweisen der Queen die letzte Ehre
Staatschefs im Bus?
Auch die gleichzeitige sichere Unterbringung und der Transport so vieler Präsidenten, Regierungschefs, Botschafter und anderer Top-Gäste aus so vielen Ländern war „ein Albtraum“, wie entnervte Mitarbeiter des Außenministeriums gestanden. Für die Beförderung VIPs durch die Stadt hatte man spezielle Busse organisiert, um eine Verstopfung der Straßen durch Limousinen und Konvois zu vermeiden. Diese Idee hatte vor allem in Washington ungläubiges Gelächter ausgelöst. Joe Bidens „Beast“, der vielfach gepanzerte Dienstwagen amerikanischer Präsidenten, war denn auch schon vor Tagen im Vereinigten Königreich angeliefert worden.
Die Mächtigsten der Welt erweisen der Queen die letzte Ehre
Auch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron konnte sich schlecht vorstellen, dass er sich zur Teilnahme an einem Staatsbegräbnis in einen Bus würde drängen müssen. Dagegen blieb weniger mondänen Teilnehmern, wie dem Maori-König Kiingi Tuheitia, letztlich keine andere Wahl.
Treffen der Großmächte
Mit Joe Biden hatte sich unterdessen Großbritanniens neue Premierministerin Liz Truss für Sonntag zu einem bilateralen Treffen verabredet – schon um die „besondere Beziehung“ zu den USA herauszustreichen, wie das in London Usus ist. Aber die Zusammenkunft wurde kurzfristig auf kommenden Mittwoch verschoben: Auf einen Tag, an dem beide, Truss und Biden, auf der UNO-Vollversammlung in New York sind.
Mit Spannungen zwischen Joe Biden und den Briten habe die Verschiebung jedenfalls „nichts zu tun“, versicherten am Wochenende beide Seiten. Allerdings ist bekannt, dass der US-Präsident den Brexit-Hardlinern in London schon wegen Nordirland nicht wohlgesonnen ist und Biden Truss ernste Konsequenzen im Falle eines Vertragsbruchs mit der EU angedroht hat.
So musste Truss, die schon als Außenministerin ihre englischsprachigen Verbündeten in fernen Ländern gern als den Anker eines „globalen Britannien“ feierte, und die ungern von Europa redet, sich mit den Regierungschefs Australiens, Neuseelands und Kanadas begnügen, die sie teils auf ihrem Landsitz Chevening, teils in No 10 Downing Street empfing am Wochenende. Nur die Regierungschefs Irlands und Polens waren ihr noch kurze Unterredungen wert.
Charles' Sorge um republikanische Bestrebungen
Froh, mit Australiens Anthony Albanese, Neuseelands Jacinda Ardern und Kanadas Justin Trudeau reden zu können, war freilich auch König Charles III. Allerdings aus anderen Gründen. Charles beobachtet mit Sorge republikanische Bestrebungen in allen drei Staaten in jüngster Zeit. Darüber hinaus sucht er mit Mühe ein zunehmend orientierungsloses Commonwealth zusammenzuhalten, das von der Krone immer weniger wissen will.
Insbesondere in Commonwealth-Staaten, die früher einmal britische Sklaven-Kolonien waren, hat sich die Absetz-Bewegung von London merklich beschleunigt. Nachdem sich Barbados voriges Jahr bereits zur Republik erklärte, wollen nun auch Jamaika und ein halbes Dutzend anderer karibischer Staaten, wenn nicht vom Commonwealth, so doch vom Königtum Abschied nehmen.
In der Hoffnung, diesen Prozess wenigstens verzögern zu können, hat König Charles zusammen mit Prinz William und dessen Familie für nächstes Jahr bereits eine mächtige Charme-Offensive in diesem Teil der Welt vorgesehen.
Und am Sonntag empfing der neue König der Briten im Buckingham-Palast noch schnell eine illustre Runde von Commonwealth-Repräsentanten, bevor er am Abend einen großen Staatsempfang für alle hohen Gäste der britischen Regierung gab. Zu diesem Gala-Essen zu stoßen, ließ sich auch Joe Biden nicht nehmen – zu Ehren der verstorbenen Königin.
Peter Nonnenmacher (London)