Sandra Maischberger setzte ihr Sandra-Maischberger-Lächeln auf und gab sich vergnügt. Gerade begann der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in ihrer Talkshow vor laufender Kamera sich selbst zu demontieren. Unternehmen wie Bäckereien, „also Läden, die darauf angewiesen sind, dass die Menschen Geld ausgeben“, seien erst einmal nicht insolvent, „wenn sie aufhören zu produzieren“, dozierte Habeck. Ihm ging es um den wirtschaftswissenschaftlichen Unterschied von Insolvenz und Produktionsstopp, aber der ökonomische Hinweis war mehr als unglücklich. Es hagelte einen Proteststurm – nicht nur aus dem Bäckerhandwerk. Auch Große leisten sich Patzer.
Impulsive Reaktion
Die Energiepreise steigen, Verbraucher murren über die Gas-, Strom- und Spritkosten. Und energieintensive Betriebe, wie Bäcker, klagen. Habeck wollte erläutern, dass ein Unternehmen noch nicht pleite ist, wenn es vorübergehend nicht produziert. Ökonomen wiesen darauf hin, dass der Hinweis richtig sei. Was für ein Stahlwerk gilt, trifft ein Handwerk aber ungleich härter. Rasch war er wieder da, der heimliche Vorwurf, die Grünen scherten sich nicht um die sozialen Folgen ihrer Politik.
Morgenpost
Habeck reagierte missmutig, ließ ein verdutztes Kamerateam nach Nachfragen einfach stehen und stapfte grimmig davon. Vom Umfrage-Liebling der deutschen Politik war man derlei nicht gewohnt. Schon früher hatte Habeck impulsiv reagiert. Vor drei Jahren hatte er sich nach einem verunglückten Zitat über die Demokratie in Thüringen enttäuscht von Twitter zurückgezogen. Der sonst so Bedächtige kann auch anders.
Habeck ist eine Art stiller Brüter in der Politik. Der promovierte Philosoph lässt die Menschen an seinem Zweifel teilhaben. Manchmal ein wenig zu viel. Etwa als Annalena Baerbock ihm die Kanzlerkandidatur der Grünen wegschnappte und Habeck in Interviews gleich mehrfach erklärte, wie sehr er leide. Manchmal aber auch sehr gekonnt, etwa als der Wirtschaftsminister über seine Gedankenwelt zum Krieg in der Ukraine und dem Gaskauf in Autokratien wie Katar teilhaben ließ. „Zwischen einem nicht demokratischen Staat, bei dem die Situation der Menschenrechte problematisch ist, und einem autoritären Staat, der einen aggressiven, völkerrechtswidrigen Krieg vor unserer Tür führt, gibt es noch mal einen Unterschied“, erläuterte der Minister.
Der Minister und die Lernkurve
Dass sich der Deal verzögerte? Geschenkt. Bei den Menschen traf Habeck den Ton. Endlich einer aus der Politik, der nicht vorab schon alles besser weiß. Habeck hatte sich schon im Vorjahr für Verteidigungswaffen für die Ukraine ausgesprochen. Hier sprach jemand, der die Menschen teilhaben ließ, an seinem Lernprozess.
Der Stil kam an. „Der Minister zeigt eine steile Lernkurve“, jubelte selbst der Chef der deutschen Maschinenbauer Karl Haeusgen. Habeck stieg in Umfragen zum beliebtesten Politiker im Land auf. Die Grünen überflügelten in den Erhebungen sogar die SPD als stärkste Kraft in der Koalition. Nun flacht die Kurve ab. Nicht nur Habecks Glanz bröckelt, sondern auch der seiner Partei. Auf 23 Prozent kommen die Grünen im jüngsten ZDF-Politbarometer, drei Punkte weniger als in der Vorwoche (SPD 19 Punkte, FDP 6, CDU 28). Die Gunst der Wählerschaft ist flüchtig. Und Habeck trifft es derzeit hart. Bei der Gasumlage – einer Zwangsabgabe von Gaskunden, die Energieunternehmen für höhere Einkaufspreise zugutekommen soll – musste sein Ministerium nachsteuern. Die staatliche Entschädigung sollte auch Konzernen zufließen, die derzeit kräftig Gewinn machen. Noch heftiger aber trifft den Minister für Wirtschaft, Klima und Energie die Debatte um eine längere Laufzeit für Deutschlands letzte Atommeiler.
Irritationen nach Atombeschluss
Ein Stresstest der Stromnetzbetreiber hatte ergeben, dass es im Winter sehr kurzzeitig zu Stromengpässen kommen könne. Deshalb sei es sinnvoll, die Atomkraftwerke bis April 2023 am Netz zu lassen. Habeck stimmte notgedrungen zu. Die Blöcke Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg bleiben am Netz, nur das AKW Emsland in Niedersachsen wird abgeschaltet.
Der Atombeschluss sorgte für heftige Irritationen – auch beim sonst so souverän wirkenden Minister. Habeck beharrt darauf, der Ausstieg werde vollzogen, die Meiler würden nur bei Stromengpässen hochgefahren. Die Kraftwerksbetreiber erklären, kurzfristige Engpässe könnten auf diese Weise nicht aufgefangen werden, weil das Hochfahren eine Woche dauere. Die Union will die Meiler bis 2024 laufen lassen – und setzt sich damit auch vom Atomausstieg Angela Merkels ab.
Das alles ist nicht schön für den Vizekanzler. „Das Vertrauen, das den Grünen derzeit entgegengebracht wird, hat vor allem eine Quelle: Sie sind bereit, ihre Überzeugungen zu hinterfragen“, analysierte die Wochenzeitung „Die Zeit“. Niemand steht für diese Methode des Hinterfragens so sehr wie Robert Habeck. Auch deshalb trifft ihn die Atomdebatte so hart. Das Beharren auf den Atomabschied ist eine reine Überzeugungstat. Die kommenden Monate werden nicht einfach. Auch für den Vizekanzler. Der Meister des öffentlichen Denkens muss zeigen, dass seine Lernkurve anhält.
Peter Riesbeck (Berlin)