Die deutsche Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat sich auf weitere finanzielle Entlastungen für die Menschen in Deutschland im Umfang von insgesamt 65 Milliarden Euro geeinigt. "Wir werden durch diese schwierige Zeit kommen", sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntagvormittag bei der Vorstellung des Pakets in Berlin. Keine Bürgerin und kein Bürger werde alleine gelassen. "You'll never walk alone."
Einmalzahlung, Zuschüsse
Pensionistinnen und Pensionisten sollen eine Einmalzahlung von 300 Euro erhalten, Studierende 200 Euro. Wohngeldberechtigte bekommen einen zusätzlichen Heizkostenzuschuss von 415 Euro. Der Wohngeldanspruch soll auf zwei Millionen Personen von derzeit 640.000 ausgeweitet werden. Gerade, wenn man wenig verdiene, kämpfe man mit den Preisen ganz besonders, sagte Scholz.
Russland ist für Scholz "kein zuverlässiger Energielieferant mehr". Aber: "Wir werden durch diesen harten Winter kommen." Für einen gewissen Basisverbrauch an Strom soll nach dem Willen der Ampel-Koalition künftig ein vergünstigter Preis gelten. Für einen zusätzlichen Verbrauch darüber hinaus wäre der Preis nicht begrenzt. "Zufallsgewinne" bei Unternehmen wegen der hohen Energiepreise würden abgeschöpft, kündigte Scholz an.
Der Kanzler betonte auch die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern: Wenn Arbeitgeber ihren Beschäftigten "wegen der gegenwärtigen Entwicklung Zahlung leisten", sollen diese bis zur Summe von 3.000 Euro steuerfrei bleiben. Für Familien wurde eine Erhöhung des Kindergeldes angekündigt. Derzeit werden 219 Euro für das erste und zweite Kind überwiesen, mit Jahresbeginn steigt dieser Betrag um 18 Euro.
Der Bund will sich außerdem mit 1,5 Milliarden Euro im Jahr an einem Nachfolger-Modell für das populäre Neun-Euro-Ticket beteiligen. Voraussetzung sei, dass "die Länder mindestens den gleichen Betrag zur Verfügung stellen", heißt es in dem Papier. Ziel sei ein "preislich attraktives Ticket" im Rahmen von 49 bis 69 Euro monatlich für ein bundesweites Nahverkehrsticket. Mit der geplanten Einführung des Bürgergelds Anfang kommenden Jahres wollen SPD, Grüne und FDP die Regelsätze für Bedürftige auf rund 500 Euro erhöhen. Heute erhalten Alleinstehende in der Grundsicherung 449 Euro pro Monat. Grünen-Chef Omid Nouripour betonte in der gemeinsamen Pressekonferenz, man werde sich "in diesem Land nicht spalten lassen" von Russland. "Wir werden Schaden für dieses Land abwenden", sagte FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner und unterstrich dabei die Abwendung "sozialer Härten".
Das vereinbarte dritte Entlastungspaket ist laut Lindner ohne eine weitere Aussetzung der Schuldenbremse finanzierbar. "Diese Maßnahmen finden statt innerhalb der bisherigen Haushaltsplanungen der Bundesregierung", sagte der FDP-Chef. Die Schuldenbremse setzt der Neuverschuldung des Bundes enge Grenzen. Möglich sei dies unter anderem durch Vorsorge, die schon im Haushalt getroffen worden sei, sagte Lindner. Auch kämen an anderer Stelle Einnahmen hinzu. Die 65 Milliarden Euro vom Bund für das dritte Entlastungspaket stellten eine konservative Schätzung dar. Es handle sich um ein Paket, das Solidarität mit Leistungsgerechtigkeit und Solidität verbinde.
"Es ist vollbracht. Sehr gutes Ergebnis", hatte Justizminister Marco Buschmann (FDP) um 6.13 Uhr getwittert. Begonnen hatten die Verhandlungen 18 Stunden zuvor. Es ist bereits das dritte Maßnahmenpaket, mit dem die drastischen Preissteigerungen - vor allem im Energiebereich - im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ausgeglichen werden sollen.
Ökonominnen und Ökonomen beurteilen das Entlastungspaket unterschiedlich: Veronika Grimm, die dem Gremium der sogenannten Wirtschaftsweisen angehört, das jährlich ein Gutachten für die Bundesregierung erstellt, lobte das Vorhaben. Die Regierung trage damit "der Tatsache Rechnung, dass die Belastungen durch die aktuelle Krise insbesondere aufgrund der hohen Energiekosten immens sein werden", sagte Grimm der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Das ist richtig so." Zuschüsse bekämen nun "im Wesentlichen Menschen, die die Härten besonders weniger selbst abfedern können", sagte sie. Die Maßnahmen am Strommarkt und zur Abfederung der besonderen Belastungen der Gaskunden bleiben nach Ansicht der Volkswirtin, die Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist, aber "noch unkonkret".
Zu wenig zielgenau?
Für den Chef des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, sind die Pläne zu wenig zielgenau. Positiv sei, dass die Bundesregierung sich "erkennbar bemüht, Preise und damit Anreize für das Energiesparen wirken zu lassen", sagte der Ökonom der "Bild"-Zeitung (Montagsausgabe). Allerdings sei die Koalition hier "teils mit der Gießkanne unterwegs".
Der Paritätische Wohlfahrtsverband beklagte indes eine anhaltende soziale Schieflage. "In diesem Entlastungspaket werden Fehler korrigiert, in dem nun auch Rentner und Studierende berücksichtigt werden", sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. So sei die geplante Wohngeldreform zum 1. Jänner ein "überfälliger Schritt". Allerdings kritisierte Schneider, dass der Hartz-IV-Regelsatz erst zum Jahresbeginn auf voraussichtlich 500 Euro angehoben werden soll. Zudem sei die Erhöhung "nicht einmal ein Inflationsausgleich und deshalb überhaupt nicht akzeptabel". "Da werden wir Nachbesserungen einfordern müssen."