Marius war mit dem Fahrrad unterwegs, nachts in Berlin. Dabei kam er zu Sturz und erlitt schwere Kopfverletzungen. Die Straßenlaternen waren dunkel, da die Stadt Energie sparen muss. Deswegen hatte Marius ein Loch im Boden übersehen. Geholfen hat ihm niemand, in der Dunkelheit konnte man den verletzten Jugendlichen nicht sehen. Marius verstarb an der Unfallstelle.
Das war Inhalt eines Videos, das vermeintlich aus der Redaktion der "Bild"-Zeitung stammt. Der Beitrag schließt mit der Forderung: "Es ist Zeit, dass sich die deutsche Regierung mit den inneren Problemen des Landes befasst, bevor sich eine weitere Tragödie ereignet." Einzig: Nichts an dieser Geschichte ist wahr, die Website ist detailgetreu der echten Bild-Seite nachgebaut, nur dem geschulten Auge fällt bei genauem Hinsehen auf, dass es sich um eine Fälschung handelt.
Zig Seiten betroffen
Die erfundene Tragödie von Marius ist nur eines von zig Beispielen nachgebauter Nachrichtenseiten, die t-online (von deren Seite auch Fälschungen aufgetaucht waren) und ZDF recherchiert und veröffentlicht haben. In einem anderen Beispiel wird eine Schule beschrieben, in der es wegen der Energieeinsparungen zu einer Explosion kam. Wiederum anderswo war von ukrainischen Flüchtlingen zu lesen, die "uns wie Kühe melken und die Illusion erwecken, Russland zu hassen, damit sie bemitleidet werden." Mit den "erpressten" Hilfsgeldern würden Sie dann in Russland Immobilien kaufen. So stand es auf einer Seite, die T-Online zum Verwechseln ähnlich sieht.
Bisher beispiellose Kampagne
Der frei erfundene Inhalt suggeriert dabei stets pro-russische Narrative: Die Sanktionen würden Deutschland mehr schaden als Russland, Ukrainer seien von egoistischen Motiven getrieben und würden Europa ausnutzen. Die Kampagne zielt darauf ab, die Bevölkerung zu verunsichern; Hunger, Armut und allerlei andere negative Konsequenzen würden dem Land drohen, wenn die Sanktionen nicht aufgehoben werden.
Das Problem: Zahlreiche echte Accounts greifen diese Nachrichten auf, teilen sie und verbreiten damit unwissentlich russische Propaganda.
Die Kampagne ist nicht nur die größte Desinformationskampagne bisher, sondern erreicht auch in der Qualität neue Maßstäbe. Trotz der verblüffenden optischen Ähnlichkeit finden sich inhaltliche Fehler, die nicht nur die Fälschung als solche leichter erkennbar machen, sondern auch darauf hindeuten, dass die Urheber nicht in Deutschland sitzen.
Faktenchecker Andre Wolf von Mimikama nennt im Gespräch mit der Kleinen Zeitung ein Beispiel: In einem aktuellen Video-Beitrag war von Bundeskanzlerin Angela Merkel die Rede. Sie ist seit November 2021 nicht mehr im Amt. "Das spricht dafür, dass Leute am Werk sind, die zwar Deutschland gut kennen, dann aber im Detail doch Fehler machen."
Wer die Urheber der Fakes sind und wo sie sich befinden, ist noch unklar. Doch der Inhalt und die professionell strukturierte Vorgangsweise erinnern an vergangene russische Troll-Attacken und deutet auf politische Kreml-Nähe hin.
Und in Österreich?
Fälle aus Österreich sind derzeit noch nicht bekannt. Die Kampagne scheint derzeit tatsächlich auf Deutschland zugeschnitten zu sein, bestätigt Wolf. Möglich wäre auch, dass man den österreichischen Markt der Einfachheit halber mit gefälschten deutschen Medien mit abdeckt, da ja die großen Portale auch hierzulande Bekanntheit genießen und die Stoßrichtung der russischen Propaganda in Deutschland und Österreich eine ähnliche ist.
Verbreitet werden die Nachrichten in den Sozialen Medien: "Eine klassische Methode. Social-Media-Kanäle werden als Multiplikatoren genutzt, dort werden die Links einfach gestreut. Oft von Fake-Profilen, die erst einige Monate oder Wochen existieren und deren Profilbild von einer künstlichen Intelligenz erstellt wurde. Die Menschen, die diese Posts dann lesen, teilen sie wiederum weiter", so Wolf.
Auf Facebook wurden zwar einzelne dieser Links gesperrt, doch das Unternehmen komme mit der Identifizierung gefälschter Seiten kaum nach. Die Fake-Welle flutet das Netzwerk seit Wochen, ein Abebben ist nicht in Sicht.