Katholische Priester in Russland haben keinerlei Möglichkeit, in Predigten oder seelsorglichen Gesprächen kritische Bemerkungen zu der nun bereits ein halbes Jahr andauernden "Spezialoperation" Russlands gegen die Ukraine zu äußern: Das hat der seit 20 Jahren im westsibirischen Kuibyschew tätige Pfarrer Dietmar Seiffert im Interview der Nachrichtenagentur Kathpress (Dienstag) dargelegt.

Mit jeglicher Andeutung in diese Richtung verschließe man die Türen sogar bei den eigenen Gläubigen, da die Unterstützung des Vorgehens von Präsident Wladimir Putin weiter ungebrochen hoch sei, berichtete der aus Süddeutschland stammende Geistliche.

Seifferts Pfarrgebiet umfasst mit 80.000 Quadratkilometer eine Fläche der Größe Österreichs – mit zumindest offiziell nur 320 registrierten Katholiken. Dass selbst diese Gruppe den Angriff auf die Ukraine mehrheitlich gutheißt, sieht der Priester als Ergebnis russischer Regierungspropaganda. Diese stelle die Operation – vom "Krieg" zu reden ist in Russland streng verboten – als "Befreiung der unterdrückten Ukraine von feindlichen Mächten" dar, mit Kriegsverbrechen allein auf ukrainischer Seite.

Infragestellen der Regierung wird abgelehnt

Als verstärkende Faktoren ortete Seiffert eine Mentalität, die jegliches Infragestellen der eigenen Regierung ablehne und auch die von der russisch-orthodoxen Kirche geförderte Deutung als "Heiliger Krieg gegen den dekadenten Westen, der die Genderideologie gutheißt". Letztere werde in Russland als "Bedrohung der eigenen Identität" wahrgenommen und mehrheitlich abgelehnt.

Angesichts dieser Vorbedingungen verzichte er auf jeglichen politischen Kommentar und konzentriere sich ganz auf die Seelsorge, erklärte der Missionspriester. Wichtig sei dabei besonders das gemeinsame Gebet für den Frieden, der, für die russische Bevölkerung sehr wohl ein wichtiges Anliegen darstelle: "Viele beten und fasten sogar dafür". Die katholische Kirche arbeite darauf hin, unter "Frieden" nicht nur den Erfolg der "Spezialoperation" zu verstehen.

"Ökumene" – ein anderer Begriff

Skeptisch äußerte sich der nahe Ulm geborene Priester im Kathpress-Interview angesichts von Hoffnungen, der für Mitte September angesetzte Besuch von Papst Franziskus in Kasachstan – das an sein Pfarrgebiet grenzt – könne den Dialog der christlichen Kirchen in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion verbessern oder zum Frieden in der Ukraine beitragen.

In Russland sei der Dialog zwischen der Orthodoxie und der katholischen Kirche nicht erst seit Februar 2022 schwierig, bemerkte Seiffert. Auch verstehe man unter "Ökumene" etwas ganz anderes als im Westen, nämlich "dass jeder seine Sachen macht und man sich nicht gegenseitig ins Gehege kommt". Allgemein werde die katholische Kirche in Russland mehr schlecht als recht geduldet, so der Eindruck des Priesters: "Die orthodoxe Kirche hätte wohl am liebsten, wenn wir Katholiken ausreisen, da sie Russland als ihr kanonisches Territorium betrachtet, vergleichbar mit dem, was der Vatikan für die katholische Kirche ist."