Seit Winter laufen Frankreichs Atomkraftwerke auf Sparflamme. Während die Europäische Union auf Betreiben des französischen Präsidenten Emmanuel Macron der Atomkraft das Öko-Siegel verliehen hat, erlebt die französische Atomkraftindustrie gerade die größte Krise ihrer Geschichte. Nach Prognosen des Energiekonzerns EDF (Électricité de France) wird Frankreich in diesem Jahr so wenig Strom wie zuletzt vor 30 Jahren produzieren. Der Grund dafür: Nur 29 der 56 Atomreaktoren sind derzeit mit voller Leistung am Netz.
Da Frankreich fast drei Viertel seines Stroms aus Atomkraft bezieht, schlägt sich das deutlich auf den Strompreis nieder. Aus Angst vor einer zweiten Gelbwestenkrise will die Regierung die Strompreise weiter deckeln. Frankreich hat sich dadurch in Monaten vom europäischen Stromexporteur in einen Bezieher verwandelt. Ohne die teuren Stromimporte aus Nachbarländern gäbe es längst Versorgungsengpässe.
Schuld an diesem Produktionseinbruch sind nicht nur die durch die Coronapandemie verzögerten Wartungsarbeiten an den Reaktoren, sondern vor allem schwerwiegende Korrosionsschäden im Sicherheitskreislauf, die im Dezember in der jüngeren Generation von Reaktoren entdeckt wurden. Zwölf der jüngsten und damit leistungsstärksten Reaktoren sind nicht am Netz.
Hinzu kommt die seit vielen Wochen anhaltende Dürre und die damit einhergehende Trockenheit: Selbst große Ströme wie die Loire, Garonne und Rhone führen zu wenig und auf über 28 Grad erwärmtes Wasser. Seit einigen Jahren gelten strenge Umweltregeln für das Kühlwasser, das bestimmte Typen von AKW leicht erwärmt wieder in die Flüsse zurückleiten.
Wenn die Flüsse nicht ausreichend Wasser führen oder die Wassertemperatur durch Hitzeperioden erhöht ist, muss die Produktion gedrosselt oder der Reaktor schlimmstenfalls vom Netz genommen werden, um Fauna und Flora nicht zu gefährden. Das war zuletzt 2019 bei einem AKW der Fall. Heuer musste Blayais wegen außergewöhnlicher früher Hitze seine Produktion bereits im Mai drosseln. Im Juni folgte das AKW von Saint-Alban an der Rhone.
Martina Meister (Paris)