Die militante Palästinenserorganisation Islamischer Jihad hat am Sonntagabend eine Waffenruhe mit Israel verkündet. Diese solle um 23.30 Uhr Ortszeit (22.30 Uhr MESZ) in Kraft treten, teilte die Organisation im Gazastreifen mit. Man begrüße die ägyptischen Vermittlungsbemühungen. Der Jihad poche aber auf sein Recht, "auf jede israelische Aggression zu reagieren". Von israelischer Seite gab es zunächst keine offizielle Bestätigung für die Waffenruhe.
Am Abend war eine hochrangige ägyptische Delegation in Gaza eingetroffen, um über Details der möglichen Waffenruhe zu verhandeln.
Eskalation nach Militäraktion "Morgengrauen"
Der Konflikt zwischen der israelischen Armee und Islamisten im Gazastreifen hat sich im Verlauf des Wochenendes zugespitzt. Im Rahmen der Militäraktion "Morgengrauen" tötete die israelische Armee auch den südlichen Kommandanten der Palästinenserorganisation Islamischer Jihad (PIJ), Khaled Mansour, wie das Militär am Sonntag mitteilte. Seit Beginn der Operation am Freitag wurden nach Armeeangaben mehr als 500 Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert, auch auf Jerusalem.
Fast alle der Geschoße, die israelische Wohngebiete bedrohten, konnten demnach von der Raketenabwehr "Iron Dome" abgefangen werden. Auch am Sonntag heulten in zahlreichen Städten die Warnsirenen.
Dutzende Tote und Hunderte Verletzte
Die israelische Armee griff in der Nacht auf Sonntag mehrere Ziele im Gazastreifen an. Seit Beginn der Angriffe am Freitag starben nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums 31 Palästinenser. Mindestens 265 seien verletzt worden. Unter den Toten sind demnach neben weiteren PIJ-Mitgliedern sechs Kinder und vier Frauen.
Israel macht den Islamischen Jihad jedoch für den Tod von fünf Kindern und einem Erwachsenen im Flüchtlingslager Jabalia verantwortlich. Nach Angaben des Militärs wurden sie durch eine fehlgeleitete Jihad-Rakete getötet. Dazu veröffentlichte die Armee am Sonntag Videoaufnahmen. Etwa 120 der seit Freitag abgefeuerten Raketen seien im Gazastreifen selbst eingeschlagen.
Zu Beginn der Militäroperation hatte Israel den Jihad-Militärchef Tayseer al-Jaabari und weitere PIJ-Mitglieder getötet. Nach israelischen Angaben plante der Jihad eine Attacke mit Panzerabwehrraketen im Grenzgebiet zum Gazastreifen. Israel sperrte über mehrere Tage hinweg Gebiete am Rande des Küstenstreifens ab und erhöhte die Alarmbereitschaft. Der Eskalation vorangegangen war die Festnahme eines PIJ-Anführers im Westjordanland, Bassam al-Saadi, am Montag. Die eng mit Israels Erzfeind Iran verbundene Gruppe wird von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft.
Israelische Kommentatoren sprachen am Sonntag von einem ernsthaften Schlag gegen den Jihad, mahnten aber zu einer raschen Waffenruhe. Ansonsten drohe "ein Überschwappen (des Konflikts) ins Westjordanland, oder ein Aufstand israelischer Araber" oder ein Einstieg der im Gazastreifen herrschenden Hamas in den Schlagabtausch. Die Hamas hat sich in dem Konflikt bisher zurückgehalten. Sie verfügt nach israelischen Informationen über deutlich mehr und weiter reichende Raketen als der Jihad, die zweitstärkste militärische Kraft im Gazastreifen.
Der israelische Regierungschef Yair Lapid sagte am Sonntag, die Operation werde "so lange weitergehen wie notwendig". Man bemühe sich, dass Unbeteiligte nicht zu Schaden kommen.
Israels ehemaliger nationaler Sicherheitsberater Yaakov Amidror sieht gegenwärtig kein echtes Interesse der Hamas, sich an dem Konflikt zu beteiligen. Anders als der Jihad sehe sich die herrschende Kraft im Gazastreifen auch für das Wohl der Zivilbevölkerung zuständig, sagte er der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Die Organisation verstehe, dass sie "einen hohen Preis bezahlen müsste", auch als Lehre aus dem Gaza-Konflikt im vergangenen Jahr.
Die Hamas habe ein Interesse daran, dass täglich weiterhin rund 14.000 Gaza-Einwohner in Israel arbeiten könnten. Außerdem sei angesichts von Treibstoffmangel die Stromversorgung in dem schmalen Küstenstreifen gefährdet. Sollte die Zahl ziviler Opfer steigen, werde aber auch der Druck auf die Hamas größer werden, nicht untätig zuzusehen, meinte Amidror.
Kritik an Raketenangriff auf Israel
Die Außenministerium in Wien verurteilte am Sonntag den Raketenbeschuss auf Israel und die wahllosen Angriffe auf Zivilisten auf das Schärfste. Man stehe "voll und ganz zu Israels Recht auf Selbstverteidigung" und sei "besorgt über eine weitere Eskalation", die zum Tod von Zivilisten führen könnte, so das Ministerium auf Twitter.
Auch das Auswärtige Amt in Berlin verurteilte den Beschuss israelischer Ortschaften mit Raketen am Sonntag "auf das Schärfste". Es gelte nun, eine weitere Eskalation zu verhindern, sagte eine Sprecherin.
Erstmals seit Beginn der Operation wurden am Sonntag - dem jüdischen Fasten- und Trauertag Tisha B'Av - auch Raketen auf Jerusalem abgefeuert. Religiöse Juden betrauern an dem Tag die Zerstörung der beiden antiken Tempel in Jerusalem.
Die Hamas hatte dazu aufgerufen, die Al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg "zu verteidigen und sich den israelischen Übergriffen auf die heilige Stätte entgegenzustellen". Der Tempelberg mit dem Felsendom und der Al-Aqsa-Moschee ist die drittheiligste Stätte im Islam.
Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi sagte am Samstag, seine Regierung bemühe sich, Kämpfe und andere Gewaltakte zwischen den beiden Seiten zu vermeiden. Berichten aus Gaza zufolge sollen sich auch die Vereinten Nationen und Katar um Vermittlung bemühen.
2019 tötete Israel bereits Al-Jaabaris Vorgänger Baha Abu al-Ata. Darauf folgten massive Raketenangriffe. Nach einigen Tagen konnte mit Hilfe von Unterhändlern Ägyptens und der Vereinten Nationen eine Waffenruhe vereinbart werden. Im vergangenen Jahr lieferten sich Israels Streitkräfte einen elftägigen Konflikt mit militanten Palästinensern im Gazastreifen. Ägypten vermittelte damals eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas, die 2007 in dem Küstenstreifen gewaltsam die Macht an sich gerissen hatte.