Nach dreitägigen Kämpfen ist am Sonntagabend im Gaza-Konflikt eine von Ägypten vermittelte Waffenruhe in Kraft getreten. Der Schlagabtausch zwischen Israel und der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad (PIJ) dauerte bis kurz vor Beginn der Waffenruhe um 23.30 Uhr Ortszeit (22.30 Uhr MESZ) an. Beide Seiten hatten zuvor separat ein Ende der Angriffe verkündet.
Um 23.25 Uhr Ortszeit und damit fünf Minuten vor Inkrafttreten der Waffenruhe habe die Armee einen "letzten Angriff" ausgeführt, erklärte ein Sprecher in der Nacht zum Sonntag. Der Islamische Dschihad betonte jedoch sein Recht, auf jegliche neue "Aggression" Israels zu reagieren. Auch das Büro von Ministerpräsident Jair Lapid warnte: "Wenn die Waffenruhe verletzt wird, behält sich der Staat Israel das Recht vor, hart darauf zu reagieren." Vorerst scheint die Vereinbarung jedoch zu halten. In den Stunden nach Inkrafttreten blieb es ruhig.
US-Präsident Joe Biden hat die ausgerufene Waffenruhe im Gazastreifen begrüßt und dringt auf eine Untersuchung der Berichte über zivile Opfer. "Meine Regierung unterstützt eine rechtzeitige und gründliche Untersuchung all dieser Berichte. Außerdem fordern wir alle Parteien auf, den Waffenstillstand vollständig umzusetzen und sicherzustellen, dass Treibstoff und humanitäre Hilfsgüter in den Gazastreifen fließen, wenn die Kämpfe nachlassen", sagte Biden am Sonntag. Der UN-Sonderbeauftragte Tor Wennesland sprach von einer "weiterhin sehr zerbrechlichen Situation" und mahnte die Konfliktparteien, die Waffenruhe einzuhalten.
Mindestens 43 Tote und 300 Verletzte
Bei den israelischen Luftangriffen im Gazastreifen wurden nach palästinensischen Angaben seit Freitag mindestens 43 Menschen getötet und über 300 Menschen verletzt. Der Islamische Jihad feuerte rund 600 Raketen in Richtung Israel ab.
Der Islamische Jihad sagte am Sonntag in einer Erklärung zu, ab 23.30 Uhr die Raketenangriffe einzustellen, betonte jedoch sein Recht, auf jegliche neue "Aggression" Israels zu reagieren. Auch Israel bestätigte die Einigung und betonte, man werde im Fall von Verstößen hart reagieren.
Ägypten hatte den Waffenstillstand vermittelt
Am Abend war eine hochrangige ägyptische Delegation in Gaza eingetroffen, um über Details der möglichen Waffenruhe zu verhandeln. Bereits am Nachmittag war aus ägyptischen Sicherheitskreisen verlautet, dass Israel einer von Kairo vorgeschlagenen Feuerpause im Gazastreifen zugestimmt habe. Allerdings war zunächst unklar, wann die Waffenruhe in Kraft treten soll.
Nach Angaben des Chefs des politischen Arms des Islamischen Jihad, Mohammed al-Hindi, beinhaltet die Vereinbarung, dass Ägypten sich bei Israel für die Freilassung von Bassem al-Saadi und Khalil Awawdeh einsetzt. Al-Saadi, ein Anführer des politischen Arms des Islamischen Jihad im Westjordanland, war am Montag festgenommen worden.
Israelische Medien berichteten dagegen, Israel habe für die Waffenruhe keine Bedingungen akzeptiert. Es solle lediglich das Prinzip "Ruhe im Gegenzug für Ruhe" herrschen. Ägypten hatte vergangenes Jahr auch eine Waffenruhe zwischen Israel und der islamistischen Hamas vermittelt nach einem Waffengang über elf Tage.
Das israelische Militär hatte am Freitag die Militäraktion "Morgengrauen" mit Luftangriffen gegen den Islamischen Jihad im Gazastreifen gestartet. Die eng mit Israels Erzfeind Iran verbundene Gruppe wird von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft. Seitdem haben militante Palästinenser nach Militärangaben Hunderte von Raketen auf israelische Ortschaften gefeuert.
Der Islamische Jihad ist die zweitstärkste militante Gruppe in den Palästinensergebieten
Dem Gesundheitsministerium im Gazastreifen zufolge wurden bei den israelischen Angriffen unter anderem 15 Kinder und vier Frauen getötet. Die israelischen Behörden bestritten die von den palästinensischen Behörden genannte Opferzahl und machten für den Tod mehrerer palästinensischer Kinder in Jabalia im Norden des Gazastreifens einen fehlgeschlagenen Raketeneinsatz des Islamischen Jihad verantwortlich.
Israels Ministerpräsident Yair Lapid sprach von einem "präzisen Anti-Terror-Einsatz gegen eine unmittelbare Bedrohung". Der Islamische Jihad sei eine "Hilfstruppe des Iran, die den Staat Israel zerstören und unschuldige Israelis töten will". Nach Angaben der israelischen Armee trafen ihre Angriffe 139 Stellungen des Islamischen Jihad. Die gesamte Spitze des militärischen Flügels des Islamischen Jihad im Gazastreifen sei "neutralisiert" worden.
Der Islamische Jihad ist die zweitstärkste militante Gruppe in den Palästinensergebieten nach der im Gazastreifen herrschenden Hamas. Sie ist eng mit dem Iran verbunden und feuert immer wieder Raketen auf Israel.
In Israel erlitten infolge des Beschusses aus dem Gazastreifen nach Angaben des Rettungsdienstes zwei Menschen Verletzungen durch Raketensplitter. Zudem seien weitere 13 Menschen leicht verletzt worden, als sie sich in Sicherheit bringen wollten.
Im Gazastreifen kam das öffentliche Leben nahezu zum Erliegen
Unter anderem ertönte am Sonntagmorgen erstmals seit der neuen Eskalation im rund 60 Kilometer vom Gazastreifen entfernten Jerusalem Luftschutzsirenen, der Islamische Jihad bekannte sich zu Raketenangriffen auf die Stadt. Der israelische Raketenschutzschild Iron Dome fing die Flugkörper der israelischen Armee zufolge aber ab, insgesamt sei dies bei 97 Prozent der Raketen gelungen. Am Samstag hatten auch in der Küstenmetropole Tel Aviv die Luftschutz-Sirenen aufgeheult.
Im Gazastreifen kam infolge der Eskalation das öffentliche Leben nahezu zum Erliegen. Wegen der Schließung von Grenzübergängen musste nach Angaben der Betreiberfirma am Samstag das einzige Kraftwerk in dem Palästinensergebiet abgeschaltet werden, weil kein Diesel mehr in die Enklave gelangte.
Der oberste Krankenhausdirektor im Gazastreifen warnte vor einer "medizinischen Krise". Ins Shifa-Krankenhaus in Gaza würden "minütlich" Verwundete eingeliefert, erklärte Mohammed Abu Salmiya am Sonntag. Es würden dringend Medikamente und Treibstoff zur Stromerzeugung benötigt, um die Patientinnen und Patienten weiterhin behandeln zu können.
Außenministerium verurteilte den Raketenbeschuss auf Israel
Die jetzige Gewalteskalation ist die heftigste im Gazastreifen seit Mai vergangenen Jahres. Die im Gazastreifen seit 2007 regierende radikalislamische Hamas hatte damals Raketen Richtung Israel abgefeuert, woraufhin die israelische Luftwaffe Ziele im Gazastreifen bombardierte. Während der elftägigen Gefechte wurden im Gazastreifen mehr als 260 Menschen getötet, in Israel gab es 13 Tote.
Die Außenministerium in Wien verurteilte am Sonntag den Raketenbeschuss auf Israel und die wahllosen Angriffe auf Zivilisten auf das Schärfste. Man stehe "voll und ganz zu Israels Recht auf Selbstverteidigung" und sei "besorgt über eine weitere Eskalation", die zum Tod von Zivilisten führen könnte, so das Ministerium auf Twitter.