The Guardian" (London):
"Dem Weißen Haus wäre es lieber gewesen, wenn Nancy Pelosi keine diplomatischen Turbulenzen verursacht hätte. Aber nachdem der Besuch nun einmal geplant war, musste er auch stattfinden. Eine Absage hätte bedeutet, dass Peking ein weltweites Vetorecht darüber hat, wer Taiwan besuchen darf.
Zwischen der gegenwärtigen Konfrontation und einem offenen Krieg gibt es viele Stufen der Eskalation. Peking kann Taiwan mit Cyber-Sabotage schikanieren. Militärübungen können zu einer Art Wirtschaftsblockade ausgeweitet werden. Doch wo es die Möglichkeit gibt, Spannungen zu erhöhen, gibt es auch Raum für Deeskalation. Frühere Krisen in der Formosastraße konnten wieder eingedämmt und zu einer Art unbehaglichem Gleichgewicht zurückgeführt werden. Das ist auch jetzt das bestmögliche Szenario, wenn sich Besonnenheit und eine altmodische Vorliebe für den Status quo durchsetzt."
"Handelsblatt" (Düsseldorf):
"Ob China es wagt, militärisch zu intervenieren, ist ungewiss. Russlands imperialistisches Abenteuer in der Ukraine wirkt eher abschreckend - sowohl was die Komplexität angeht, ein Land zu erobern, als auch was die ökonomischen Risiken möglicher Sanktionen des Westens betrifft. Unumstritten ist, dass das Risiko eines militärischen Konflikts mit dem Besuch Pelosis größer geworden ist. China wird reagieren - und zwar weit über die jetzt beschlossenen Sanktionen gegen Taiwan hinaus. Beide Seiten haben rhetorisch so aufgerüstet, dass ein gesichtswahrender Rückzug kaum möglich erscheint. "Diejenigen, die mit dem Feuer spielen, werden daran zugrunde gehen", warnte Xi. Auch Bidens öffentlich bekundete Absicht, militärisch einzugreifen, passt nicht zur bisherigen diplomatischen Politik der "strategischen Mehrdeutigkeit". Beide Seiten bedienen sich einer Sprache, die kaum Raum für Annäherungen lässt.
"Neue Zürcher Zeitung":
"Wenn Pelosi glaubt, mit ihrem Husarenritt Taiwan zu helfen, irrt sie. Die eminente Frage, was sie damit bewirken kann, bleibt unbeantwortet. Klar ist hingegen: Peking zieht die Schlinge noch enger um die aus seiner Sicht abtrünnige Provinz.
Zweifellos dürfen sich Amerika, aber auch andere Demokratien nicht von China überall rote Linien diktieren lassen. Nicht China entscheidet, wer auf dem diplomatischen Parkett wen empfangen darf. Das gilt für Taiwans Präsidentin ebenso wie für den Dalai Lama, das spirituelle Oberhaupt der Tibeter. Die westliche Wertegemeinschaft muss gegenüber China Standfestigkeit beweisen. Denn Pekings Druckversuche kennen keine Grenzen.
Fehl am Platz ist indes bloße Symbolpolitik des Westens. Nancy Pelosis Stippvisite gehört in diese Kategorie. Ihr Aufenthalt in Taipeh hat zwar vorerst keinen militärischen Schlagabtausch ausgelöst. Doch beschädigte sie innerhalb eines Tages die fast achtjährige Balancepolitik der taiwanischen Präsidentin. Für einen der gefährlichsten geopolitischen Brennpunkte Asiens verheißt dies wenig Gutes."
"Sydney Morning Herald":
"Die Reise von Nancy Pelosi nach Taiwan hat China in Rage gebracht und die Märkte kurzzeitig erschüttert, bis die Bedrohung durch etwas, das größer als bloßes chinesisches Säbelrasseln hätte sein können, nachzulassen schien. Das bedeutet nicht, dass der Besuch keine längerfristigen wirtschaftlichen und finanziellen Folgen haben wird.
China reagierte auf die Provokation des US-Repräsentantenhauses mit aggressiver Rhetorik (...) und großangelegten Militärübungen in den Gewässern um Taiwan. Bisher war die Reaktion jedoch verhaltener, als die Drohungen vor dem Besuch vermuten ließen. (...) Die längerfristigen Auswirkungen einer deutlichen Verschlechterung der ohnehin fragilen und angespannten Beziehung zwischen den USA und China dürften neben einer Ausweitung und Beschleunigung der bereits begonnenen Entkoppelung der Wirtschaftsbeziehungen auch eine Intensivierung des geopolitischen Wettbewerbs sein (...)."
"Dagens Nyheter" (Stockholm):
"Nancy Pelosis Besuch in Taiwan ist als egoistisch und als fahrlässig bezeichnet worden. All das ist falsch. Es ist auffällig, wie normalerweise vernünftige Stimmen ein grundlegendes Prinzip über Bord geworfen haben: dass aggressive Großmächte kleinere Nachbarn nicht überfahren dürfen sollten. Stattdessen warnte Xi Jinping den US-Präsidenten Joe Biden davor, 'nicht mit dem Feuer zu spielen'. Pelosi war kaum in Taiwan gelandet, ehe die chinesische Volksbefreiungsarmee bekanntgab, dass zwischen Donnerstag und Sonntag Militärübungen rund um die Insel stattfinden werden. Wenn jemand mit dem Feuer spielt, dann ist es Xi Jinping."
"De Standaard" (Brüssel):
"Weniger als 24 Stunden nach ihrer Ankunft in Taiwan, die China erzürnte, reiste die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses schon wieder ab. Mehr Zeit brauchte es nicht, um Taiwan die fortgesetzte Unterstützung Amerikas zuzusichern und dessen demokratische Haltung zu loben. Peking reagierte zwar mit der Ankündigung beispielloser Militäroperationen zu Wasser und in der Luft, musste aber wutschnaubend einen Gesichtsverlust vor den Augen der Welt hinnehmen. Es bringt nichts, wenn man erst verbal aufrüstet und anschließend zurückstecken muss.
Jedoch kann die westliche Welt allemal auf die Art von PR-Erfolg verzichten, die Nancy Pelosi mit ihrem umstrittenen Besuch verbuchte. Dass nun auch eine Spitzenpolitikerin der Demokraten dreist die militärische Überlegenheit der USA zur Schau stellte, ist ein Rückfall in die neokonservative Überheblichkeit unter republikanischen Präsidenten wie George W. Bush und Donald Trump. Das bringt Stabilität und Sicherheit in keiner Weise näher. Zudem ist es fraglich, ob Pelosis PR-Stunt dazu führt, dass sie bei den US-Zwischenwahlen im November ihr Amt behält."