Ist sie nur das nächste politische Eintagswunder in Italien oder wird Giorgia Meloni das Land verändern? Diese Frage stellt man sich gerade unter anderem in Washington, Paris und Berlin. Wie es heißt, wird auch in Moskau ganz genau beobachtet, wie es in der italienischen Politik und einem der größten EU-Mitgliedsländer weitergeht. Nach dem Rücktritt der Regierung von Mario Draghi sind für den 25. September Neuwahlen angesetzt, in den Umfragen dürfte dann das rechtskonservative Lager die Nase vorn haben. Und ganz vorne als neue Regierungschefin, erste Premierministerin Italiens, könnte dann sie stehen: Giorgia Meloni, Jahrgang 1977, Römerin, Post-Faschistin.
Ihre 2013 gegründete Partei „Fratelli d'Italia“ (Brüder Italiens) liegt mit derzeit 24 Prozent in den Umfragen vorne. Seit Monaten drängt die unverheiratete Mutter einer Tochter auf Neuwahlen. „Ich bin bereit“, sagte sie, als das halbe Parlament Mario Draghi vergangene Woche nicht mehr das Vertrauen ausgesprochen hatte. Gerade einmal vier Prozent erreichten die Brüder Italiens bei den Wahlen 2018, seither geht es steil bergauf für die Partei mit neofaschistischer Tradition. Im Parteiabzeichen brennt immer noch das Flammensymbol, das die italienischen Neofaschisten in den 1950er Jahren als Erinnerung an Diktator Benito Mussolini gewählt hatten.
Meloni und Mussolini
Mussolini begleitet Meloni auf Schritt und Tritt, ob sie will oder nicht. Vor Wochen machte sie einen Witz über den ewigen Faschismus-Vorwurf gegen sie und ihre Partei und wählte vier Wörter mit dem Anfangsbuchstaben „M“, darunter „Mama“ und „Meer“. Weil „M“ aber auch der Anfangsbuchstabe des Namens Mussolini ist, hieß es, sie wolle versteckte Signale an ihre Anhänger senden. Denn von denen verehren die meisten den faschistischen Diktator, oder haben zumindest nichts an ihm auszusetzen. Immer wieder werden FdI-Politiker beim Zeigen des Hitlergrußes, antisemitischen, rassistischen oder neofaschistischen Umtrieben ertappt.
Auch Meloni sagte über Mussolini einst, er habe zwar Fehler wie die Rassengesetzte, den Kriegseintritt begangen und ein autoritäres Regime geführt, er habe aber auch Erfolge vorzuweisen. Ein Tabu brach Meloni mit dieser Haltung in Italien nicht. Zwar wurde die italienische Verfassung 1946 im Geist des Antifaschismus verfasst und verabschiedet. Den Jahrestag der „Befreiung vom Nazifaschismus“ am 25. April feiert ein Teil der italienischen Politik demonstrativ nicht mit. Seine Vertreter sammeln sich seit 2013 um Meloni. Ein Tabu war der Faschismus in Italien, in dem man stets auf den deutschen Nazifaschismus als "absolutes Böse" verweisen konnte, nie.
Doppeltes Spiel
Sie habe ein „entspanntes Verhältnis zum Faschismus“, sagte Meloni einst, die als Jugendliche Mitglied in der „Jugendfront“, der Jugendorganisation der italienischen Neofaschisten war. Als Jugendministerin ehrte sie 2008 noch zwei bei einem Anschlag getötete neofaschistische Aktivisten in Rom. Inzwischen versucht sie die eigene Vergangenheit herunterzuspielen. In der Partei sei „kein Platz für faschistische, rassistische und antisemitische Nostalgiker“, behauptet sie. Die Realität zeigt das Gegenteil. Auch Meloni spielt ein doppeltes Spiel, nach außen demokratisch, nach innen nostalgisch. Vor kurzem erst bewarb sie die Kandidaturen zweier auf ihren Urgroßvater stolzer Mussolini-Urenkel für die „Fratelli d'Italia“.
Doch mit verstecktem Neofaschismus alleine ist auch in Italien keine Politik zu machen. Meloni schöpft im Becken rechter, unzufriedener Wähler, von denen sich viele den sogenannten starken Mann und inzwischen auch eine starke Frau an der Macht wünschen. Sie ist die Frontfrau der Partei, die bei einem Wahlerfolg ein echtes Personalproblem bekommen dürfte. Qualifizierte, wenn auch umstrittene Politiker kann man bei den Brüdern Italiens an einer Hand abzählen. Die Parteichefin, die ohne Vater aufwuchs, eine Sprachenausbildung absolvierte und als Berufsangabe „Journalistin“ angibt, sticht durch ihr demagogisches Talent hervor.
Bei einer Rede auf einer Veranstaltung der rechtsradikalen und neofranquistischen Partei Vox in Andalusien schrie sie vor Kurzem: „Ja zur natürlichen Familie, nein zur LGBT-Lobby. Ja zur sexuellen Identität, nein zur Gender-Ideologie. Ja zur Kultur des Lebens, nein zum Abgrund des Todes.“ Damit meinte sie Abtreibungen. Außerdem lobte sie die „Werte des Kreuzes“, „sichere Grenzen“, die „Souveränität des Volkes“ und schimpfte gegen „islamistische Gewalt“, „illegale Masseneinwanderung“ sowie „Brüsseler Demokraten“. Meloni besetzt mehr noch als die Lega Matteo Salvinis (in Umfragen bei etwa 15 Prozent) das rechtspopulistische Spektrum, in Tradition des Neofaschismus. Außenpolitisch bekennen sich die Brüder Italiens zur NATO und im Krieg auf die Seite der Ukraine. Sie habe keine Beziehungen zu russischen Oligarchen, sagte Meloni und zielte damit auf Lega-Chef Matteo Salvini und seine Russland-Beziehungen ab.
Meloni gegen Salvini
Meloni gegen Salvini, dieses Wahl-Duell wartet nun auf Italien in den Sommerferien. Dabei geht es auch um das Mandat zur Regierungsbildung, das der Staatspräsident noch im Oktober erteilen könnte. Entscheidet Meloni das Duell für sich, dürften auch Historiker hellhörig werden. Am 28. Oktober 2022 feiern italienische Neofaschisten den Marsch auf Rom, Mussolinis Machtergreifung, der sich in diesem Jahr zum 100. Mal jährt. Für Melonis Anhänger hätte sich ein Kreis geschlossen.
Julius Müller-Meinigen (Rom)