Nach dem Sturz der Regierung von Premier Mario Draghi zerfallen auch politische Allianzen. Die italienischen Sozialdemokraten (Partito Democratico/PD), die seit August 2019 mit der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung Italien regiert hatten, beschuldigen den Koalitionspartner des Verrats. Die Fünf-Sterne-Bewegung hatte in der Vorwoche Draghi den Rücken gekehrt. Als dessen politische Erbe versucht sich indes PD-Chef und Ex-Premier Enrico Letta zu profilieren.
Die Fünf-Sterne-Bewegung, die rechtskonservative Forza Italia des langjährigen Premiers Silvio Berlusconi und die rechte Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini verweigerten Draghi am Mittwoch im Senat das Vertrauen. Präsident Sergio Mattarella löste daraufhin das Parlament auf; Neuwahlen finden am 25. September statt.
"Mit den Parteien, die Draghi verraten haben, ist keine Allianz möglich", betonte PD-Chef Letta. "In den nächsten Tagen werden wir Italien unser Wahlprogramm vorstellen, wir werden sehen, wer sich mit uns verbünden will", betonte Letta. Beim Wahlprogramm will sich der Sozialdemokrat von Draghis politischer Agenda inspirieren lassen.
Der unschuldige Berlusconi
Berlusconi sieht keine Schuld seiner Partei am Rücktritt Draghis. "Wir haben keine Schuld daran, was passiert ist, absolut keine", betonte der 85-jährige Forza-Italia-Gründer im Interview mit der Zeitung "Corriere della Sera" (Freitagausgabe). Draghi hätte aus seiner Sicht nicht zurücktreten müssen, denn Forza Italia habe bei einer Vertrauensabstimmung im Senat nicht gegen ihn gestimmt, sondern sich der Stimme enthalten. "Draghi hatte keine Lust mehr, weiterzuregieren. Er hat die Chance genutzt, den Hut zu nehmen", analysierte Berlusconi die Lage.
Doch nicht einmal enge Vertrauensleute schenken Berlusconis Argumentation Glauben. Die für Süditalien zuständige Ministerin Mara Carfagna etwa erklärte, sich von der Forza Italia distanzieren zu wollen. Bereits ihr Parteifreund Renato Brunetta, Minister für die öffentliche Verwaltung, und Regionenministerin Maria Stella Gelmini kündigten den Austritt aus Berlusconis Partei an, der sie seit über 20 Jahren angehörten. "Es handelt sich um Personen ohne politische Zukunft", kommentierte Berlusconi den Bruch mit seinen Vertrauensleuten.
Rückkehr von Luigi Di Maio
Außenminister Luigi Di Maio, der vor einem Monat die Fünf-Sterne-Bewegung verlassen hatte, will jetzt mit einer eigenen Partei Miteinander für die Zukunft (Insieme per il Futuro, IPF) an den Neuwahlen teilnehmen. "Es ist das erste Mal in der Geschichte der Republik, dass wir im September wählen gehen, und die Italiener sind nicht sehr glücklich darüber", meinte Di Maio.
Regierungskrisen im Sommer gab es bereits. Im August 2019 hatte sich Lega-Chef Salvini von der Fünf-Sterne-Bewegung getrennt, was zum Sturz der ersten Regierung um Giuseppe Conte geführt hatte. Die Fünf-Sterne-Bewegung war jedoch dann eine Allianz mit den Sozialdemokraten eingegangen, was die Bildung der zweiten Regierung Conte ermöglichte. Italien konnten somit Neuwahlen erspart werden. Parlamentswahlen im Herbst sind für Italien ein Novum. Seit der Gründung der italienischen Republik nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Italiener stets zwischen Februar und Juni gewählt.