Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella hat den Rücktritt von Regierungschef Mario Draghi abgelehnt. Mattarella forderte Draghi auf, dem Parlament Bericht zu erstatten und die Lage zu bewerten, hieß es in einer Mitteilung seines Amtssitzes am Donnerstag. Zuvor hatte der italienische Ministerpräsident Mario Draghi nach Angaben seiner Regierung angekündigt, zurückzutreten.
Die Koalition der "Nationalen Einheit" existiere nicht mehr, sagte Draghi am Donnerstag. Der Premier zog damit die Konsequenzen aus dem Verhalten der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung, die sich am Donnerstag nicht an einer Vertrauensabstimmung über ein Paket mit Stützungsmaßnahmen beteiligt hatte.
"In den letzten Tagen habe ich mich bemüht, den gemeinsamen Weg fortzusetzen und sogar versucht, die Forderungen der politischen Kräfte an mich zu erfüllen. Wie die heutige Debatte und Abstimmung im Parlament zeigt, haben diese Bemühungen nicht ausgereicht", sagte Draghi bei einer Ministerratssitzung am Donnerstagabend. Die Mehrheit der nationalen Einheit, die diese Regierung seit ihrer Gründung im Februar 2021 unterstützt hat, sei nicht mehr vorhanden. Der Pakt des Vertrauens, der die Grundlage des Regierungshandelns bildet, sei gescheitert, so Draghi.
"Seit meiner Antrittsrede im Parlament habe ich immer gesagt, dass dieses Kabinett nur dann existenzberechtigt ist, wenn es eine klare Aussicht auf die Umsetzung des Regierungsprogramms gebe, dem die politischen Kräfte ihr Vertrauen ausgesprochen haben. Diese Einigkeit war bei der Bewältigung der Herausforderungen dieser Monate von grundlegender Bedeutung. Diese Bedingungen sind heute nicht mehr gegeben", so Draghi. Er dankte seinen Ministern für ihre Arbeit und die erzielten Ergebnisse. "Wir müssen stolz darauf sein, was wir in einer sehr schwierigen Zeit im Interesse aller Italiener erreicht haben", erklärte Draghi.
Erwartet wird jetzt, dass der italienische Präsident Sergio Mattarella politische Konsultationen zur Bewältigung der Regierungskrise starten wird. Gespräche werden in den nächsten Tagen mit den Parteichefs stattfinden. Es gilt als durchaus unwahrscheinlich, dass eine neue Regierungskoalition zustande kommt. Dann könnte es zu Parlamentswahlen im Oktober kommen.
Draghi hatte am Donnerstag eine Vertrauensabstimmung über ein Maßnahmenpaket mit Hilfen für Familien und Unternehmen gewonnen. Die Fünf-Sterne-Bewegung hatte die Abstimmung jedoch boykottiert. Daraufhin ist die seit Februar 2021 regierende Mehrparteienkoalition in die Brüche gegangen.
Die Fünf-Sterne-Bewegung forderte unter anderem den Erhalt der 2019 eingeführten Mindestsicherung für Einkommensschwache, die die Regierung Draghi ab dem kommenden Jahr abschaffen will. Die Gruppierung verlangte außerdem die Einführung eines gesetzlich festgelegten Mindestlohns von neun Euro pro Stunde netto und stemmt sich gegen Pläne für den Bau einer großen Müllverbrennungsanlage in Rom.
Die italienischen Unternehmer reagierten empört auf die Regierungskrise. Carlo Bonomi, Präsident des Industrieverbands Confindustria, zeigte sich am Donnerstag bestürzt über die politische Unsicherheit, die aus der Entscheidung der Fünf-Sterne-Bewegung resultiert, nicht an der Vertrauensabstimmung teilzunehmen.
"Wir beobachten mit völliger Ungläubigkeit die politischen Entwicklungen. Es werden Verpflichtungen ignoriert, die die Regierung eingegangen ist. Diese totale Verantwortungslosigkeit hinterlässt uns sprachlos", kommentierte Bonomi. Die Mailänder Börse reagierte mit einem Rückgang von drei Prozent auf die jüngsten politischen Entwicklungen.
Sarkastische Reaktion aus Russland
Dmitri Medwedew, ehemaliger russischer Präsident und derzeitiger stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrates, hat die politischen Entwicklungen in Rom und London sarkastisch kommentiert. Medwedew postete nacheinander Fotos des britischen Premiers Boris Johnson und des italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi, dann eine Figur in Schwarz mit einem Fragezeichen, was bedeutet soll: "Wer wird der Nächste sein?".
Bereits in den vergangenen Tagen hatte sich Medwedew nach dem Rücktritt des britischen Premiers zu Wort gemeldet, indem er, ebenfalls über Telegramm, schrieb: "Die besten Freunde der Ukraine gehen. Der Sieg ist in Gefahr! Der erste ist weg...".