"Es ist die Zeit gekommen, sich an den Türken zu rächen", verkündete der bosnisch-serbische Militärchef Ratko Mladic bei seiner Ankunft in Srebrenica am 11. Juli 1995 gegenüber serbischen TV-Sendern. Mit "Türken" meinte Mladic seine eigenen Landsleute: Die Bosniaken - meist hannafitische Sunniten - in Bosnien-Herzegowina. In den darauffolgenden Tagen, vom 12. bis 19. Juli 1995, wurden 8.000 bosniakische Männer in der Umgebung der Stadt brutal ermordet.
Angriffe auf Dörfer und Siedlungen
Srebrenica steht seither für das größte Verbrechen im Bosnien-Krieg - und für das größte Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Von "Völkermord" sprach erstmals das UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) im April 2004 im Verfahren gegen den bosnisch-serbischen Offizier Radislav Krstic. Dessen Verurteilung wurde später auf "Beihilfe zum Völkermord" reduziert. Dass es sich bei dem Massaker um einen Genozid handelte, urteilte 2007 auch der Internationale Gerichtshof (IGH) auf Basis einer bosnischen Klage gegen Serbien. Belgrad selbst wurde allerdings nicht des Völkermordes für schuldig befunden.
Das Gebiet um Srebrenica war gleich nach dem Ausbruch des Krieges im Frühjahr 1992 intensiv umkämpft. Dort stationierte bosniakische Kämpfer griffen wiederholt serbische Dörfer in der Umgebung an. Serbische Quellen berichten von Angriffen auf 79 Dörfer und Siedlungen.
Tausende Einwohner wurden in die Flucht getrieben, mehrere hundert Zivilisten - ihre Zahl dürfte laut den Unterlagen des Niederländischen Instituts für Kriegsdokumentation (NIOD) bei mindestens 1.000 liegen - ermordet. Am 7. Jänner 1993, dem serbisch-orthodoxen Weihnachtstag, wurden etwa 46 Einwohner des Dorfes Kravice von bosniakischen Kämpfern massakriert. Diese Ermordungen werden als besonders schlimm eingestuft.
Nato-Unterstützung wurde eingestellt
Danach änderte sich die militärische Situation um Srebrenica. Die Kleinstadt wurde im April 1993 zur UNO-Schutzzone erklärt.
Vor dem Kriegsende war die Stadt mit etwa 42.000 Einwohnern - ein Großteil von ihnen waren bosniakische Flüchtlinge aus der Umgebung - von etwa 15.000 serbischen Soldaten umzingelt. In der Stadt selbst dürften sich vor der Einnahme durch bosnisch-serbische Truppen etwa ebenso viele Männer im kampffähigen Alter befunden haben. Viele von ihnen, darunter der Kriegskommandant Naser Oric, zogen kurz vor der Einnahme der Stadt Richtung Tuzla ab.
Als der entscheidende bosnisch-serbische Angriff auf Srebrenica startete, leisteten etwa 300 niederländische Blauhelme keinen Widerstand. Ihr Befehlshaber Thomas Karremans hatte zwar die NATO um Unterstützung aus der Luft ersucht. Ein Angriff von NATO-Flugzeugen auf die bosnisch-serbischen Stellungen über der in einem engen Tal zwischen den Bergen liegenden Kleinstadt wurde wegen schlechter Witterungsverhältnisse aber bald eingestellt. Zudem hatten bosnisch-serbische Truppen mit Morden an gefangen genommenen niederländischen UNO-Soldaten gedroht.
Die Suche nach Familienangehörigen
Die Einnahme von Srebrenica ist lange im Voraus vorbereitet worden. In einer Anordnung des bosnisch-serbischen Präsidenten Radovan Karadzic vom März 1995 hieß es unter anderem: "Durch alltägliche geplante und überlegte Kampfaktionen gilt es, eine Atmosphäre der totalen Unsicherheit, der Unerträglichkeit und Aussichtslosigkeit auf eine weitere Existenz und Leben in Srebrenica zu schaffen (...)."
Die bosnisch-serbischen Truppen trennten die bosniakischen Männer vom Rest der Bevölkerung. Ermordet wurden sie hauptsächlich durch Massenexekutionen. Die Leichen der Opfer wurden nach dem Kriegsende in etwa zwei Dutzend Massengräbern entdeckt. Viele davon waren sogenannte sekundäre Massengräber, in die die Leichen aus primären Gräbern versetzt worden waren, um die Spuren des Verbrechens zu vertuschen. Immer noch haben viele Menschen die Hoffnung noch nicht aufgegeben: Viele sind nach wie vor auf der Suche nach den Leichen ihrer engsten Familienangehörigen.
Die Leugnung des Völkermords
Die Richter des internationalen Gerichtshofs verurteilten den einstigen bosnischen Serbenführer Karadzic wegen Völkermordes in Srebrenica und anderer Kriegsverbrechen im März 2019 rechtskräftig zu lebenslanger Haft. Lebenslang hatte im November 2017 auch der ehemalige Militärchef der bosnischen Serben, Ratko Mladic, erhalten. Im Juni 2021 ist Mladic endgültig mit seinem Berufungsverfahren gescheitert.
Bosnien ist seit dem Friedensvertrag von Dayton 1995 in eine bosniakisch-kroatische Föderation und eine Serben-Republik unterteilt. Die Leugnung des Völkermords ist im kleineren bosnischen Landesteil (Entität), der Republika Srpska, seit Oktober 2021 wieder erlaubt. Der frühere internationale Bosnien-Beauftragte, der österreichische Diplomat Valentin Inzko hatte kurz vor dem Ablauf seiner Amtszeit Ende Juli 2021 die Leugnung des Völkermords per Ergänzung des Strafgesetzes in ganz Bosnien-Herzegowina untersagt und strafbar gemacht.
Das Europaparlament erklärte 2009 den 11. Juli zum Gedenktag für die Opfer von Srebrenica. In Wien nahm vor einer Woche, am 7. Juli 2022, der Nationalrat einen Entschließungsantrag zum Gedenken an den Völkermord einstimmig an: Der 11. Juli als Gedenktag sei "Mahnung für die Gegenwart". Zu den diesjährigen Gedenkfeierlichkeiten in Srebrenica ist die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, mit Vertreterinnen und Vertretern von Grünen und NEOS angereist.