Der britische Premierminister Boris Johnson tritt zurück – zunächst als Chef der konservativen Partei. Sobald dieser Posten nachbesetzt ist, will Johnson auch das Amt des Premierministers abgeben. Wie lange das dauert, war zunächst unklar. Laut Johnson soll der Zeitplan nächste Woche bekannt gegeben werden.
In der Rede an die Öffentlichkeit um 13.30 Uhr bestätigte der Noch-Premier, was schon am Vormittag die Runde in britischen Medien machte. In den letzten Tagen hatte sich die Situation um den Chefsessel in der Downing Street immer weiter zugespitzt. Eine offene Revolte gegen Johnson samt zahlreicher Rücktritte und Rücktrittsaufforderungen – auch aus den eigenen Reihen – erhöhte den Druck auf Johnson.
Stolz auf Regierungsarbeit
Gleich zu Beginn seiner Rede sprach Johnson davon, dass der Wille seiner Partei klar sei und es eine neue Parteispitze und damit einen neuen Premier brauche. Johnson bedanke sich bei seinen Wählern und zählte einige Punkte auf, die er als Erfolg seiner Regierung verbucht, wie etwa den Brexit, auf den er "immens stolz" sei. Man habe Großbritannien durch die Pandemie geführt und die Impfung in Rekordzeit ausgerollt und den "Westen darin angeführt, gegen Putins Aggressionen aufzustehen". Nun sei er "traurig, den besten Job der Welt aufzugeben".
Rückzug zeichnete sich am Vormittag ab
Am Vormittag war Johnson auch von Finanzminister Nadhim Zahawi zum Rücktritt aufgefordert worden. Zahawi selbst war weniger als 48 Stunden zuvor von Johnson zum Finanzminister ernannt worden, nachdem der bisherige Ressortchef Rishi Sunak aus Protest gegen den Premier zurückgetreten war. Wie Sunak quittierten inzwischen mehr als 50 Personen aus Johnsons Team den Dienst – darunter mehrere Minister. Johnson lehnte einen Rücktritt bisher vehement ab.
"Boris Johnson wird als Chef der Konservativen Partei im Laufe des Tages zurücktreten", so der BBC-Politikredakteur Chris Mason. Auch in anderen Medien hieß es, Johnson werde sich nach dem Exodus in seinem Regierungsapparat dem Unausweichlichen beugen. Rücktrittsankündigungen gingen zuletzt praktisch im Minutentakt ein. Ohne seine Mitarbeiter erschien der schon länger isolierte Johnson zunehmend machtlos.
"Sie müssen das Richtige tun und jetzt gehen"
"Sie müssen das Richtige tun und jetzt gehen", schrieb Finanzminister Zahawi auf Twitter. "Das ist nicht tragbar, und es wird nur noch schlimmer werden, für Sie, für die Konservative Partei und vor allem für das ganze Land." Er habe Johnson am Mittwochabend in seinem Amtssitz gebeten, mit Würde zu gehen. "Es bricht mir das Herz, dass er nicht zugehört hat." Das Land verdiene eine Regierung, die nicht nur stabil, sondern auch integer sei. "Herr Premierminister, in Ihrem Herzen wissen Sie, was zu tun ist, gehen Sie jetzt." Von einem eigenen Rücktritt war bei Zahawi nicht die Rede. Er wird wie eine Reihe anderer amtierender und früherer Minister als potenzieller Nachfolger Johnsons gehandelt.
Oppositionschef Starmer sprach mit Blick auf Johnsons angekündigten Rücktritt als Parteichef der Konservativen von einer "guten Nachricht". Was das Land jetzt brauche, sei aber "kein Wechsel an der Spitze der Tories. Wir brauchen einen echten Regierungswechsel", forderte der Labour-Politiker.
Seit 2019 Premier
Johnson war 2019 Chef der Konservativen und damit Premierminister geworden. Die anfängliche Popularität des ehemaligen Journalisten und Bürgermeisters von London wurde jedoch bald geschmälert durch Kritik an seinem betont kämpferischen und von Gegnern oft als chaotisch empfundenen Regierungsstil. Immer wieder wurden Rücktrittsforderungen laut. Das Fass zum Überlaufen brachte zuletzt sein Umgang mit der Affäre um einen konservativen Abgeordneten, dem sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen wird. Johnson hatte sich im Fernsehen dafür entschuldigt, dass die Öffentlichkeit über seinen Wissensstand in dem Fall falsch informiert worden sei.
Die Affäre gehört zu einer langen Reihe von Skandalen und Fehltritten, die im Falle von Partys während des Corona-Lockdowns für Johnson zu einer Geldstrafe und einem Misstrauensantrag seiner eigenen Fraktion führten. Die Vertrauensabstimmung überstand Johnson Anfang Juni. Am Mittwoch wurde unter den Konservativen über Wege diskutiert, ein nun eigentlich vorerst ausgeschlossenes Misstrauensvotum doch einleiten zu können.