Ein Land mit 144 Millionen Einwohnern. Und trotzdem scheint Wladimir Putin auf wundersame Weise stets auf dieselben Gesichter und Menschen zu treffen.
Ein Mann mit wulstigem Schnauzer, ein hagerer Herr mit langer Nase und Stecknadelkopf-Augen, eine Frau mit blondem Haar und Seitenscheitel. Immer wieder findet man diese Personen auf Fotos, die Putin bei öffentlichen Veranstaltungen und Besuchen zeigen. Das Problem: Die genannten Charaktere scheinen in kurzer Zeit sehr unterschiedliche Berufe auszuüben, weisen frappierende Ähnlichkeiten zueinander auf. Mal sieht man sie als Teil einer Fischkutter-Crew, mal versammelt als andächtige Glaubensgemeinschaft zu weihnachtlichen Feierlichkeiten. Einem anderen Mann mit Denkerstirn und schroffem Blick begegnete der russische Präsident jüngst ebenfalls zum wiederholten Male, meinen Twitter-User. Einst bei der Inspektion eines Fabrikgebäudes, nun im Krankenhaus. Putin stattete verwundeten Soldaten dort einen Besuch ab.
Die wiederkehrenden Personen in Putins Umkreis sorgen auf Twitter für Gesprächsstoff. Der ukrainische Autor und Wissenschaftler Anton Shekhovtsov spricht etwa von "trusted actors", also "vertrauten Schauspielern".
"Volkstheater" von Putin
Beobachter sprechen von Statisten, die Putin seit Jahren für seine offiziellen Pressefotos einsetzt. Echte Konfrontationen mit dem Volk würde der Präsident so vermeiden können, gleichzeitig aber seine Nähe zum "normalen Bürger" zum Ausdruck bringen. Diese Vorgehensweise sei im russischen Propagandaapparat Usus. Zu umstrittenen politischen Debatten würde man den Präsidenten "greifbar" inszenieren, ihn mit Passanten diskutieren lassen, die auf unerklärliche Weise den Weg in ansonsten abgeriegelte Plätze und Straßen fanden.
Auch sagt man Putin Angst vor möglichen Attentaten und Übergriffen nach. Mit einem fixen Stamm von "Volksschauspielern" wäre die Gefahr eines Übergriffs gebannt.
Parkinson und Geheimagent
Ebenfalls seit Jahren emsig diskutiert und immer wieder Grund für Spekulationen ist Putins Gesundheitszustand. Besonders brisant wurde das Thema im Zuge des Einmarschs Russlands in die Ukraine. Putin, omnipräsent und unter ständiger Beobachtung von Journalisten und Kameras, schien zuletzt nervös, schwach, aufgedunsen.
Mediziner glauben in Putins Auftreten Veränderungen wahrzunehmen. Belege dafür sind rar, reine Ferndiagnose. Putins Gesundheit und sein Privatleben sind in Russland ein Tabuthema und werden fast nie in der Öffentlichkeit diskutiert. Als mögliche Krankheiten werden Krebs und Parkinson diskutiert. Gerüchte, wonach Putin an Krebs erkrankt sei, wurden von geleakten Tonbandaufnahmen eines russischen Oligarchen befeuert. Russlands Präsident sei "sehr krank" und leide an "schwerem Blutkrebs" heißt es in dem aufgezeichneten Gespräch.
Der russische Außenminister Sergei Lawrow hat Gerüchte über eine Erkrankung von Kremlchef Wladimir Putin nun dementiert. "Ich glaube nicht, dass vernünftige Menschen in dieser Person Anzeichen für irgendeine Art von Krankheit oder Gebrechen sehen können", sagte Lawrow am Sonntag auf eine entsprechende Frage des französischen Fernsehsenders TF1. Bisher hielt man sich bedeckt und vage. Wurden Spekulationen in der Vergangenheit im Keim erstickt und sofort dementiert, ließ sich der Kreml dieses Mal aber auffällig lange mit einer Antwort Zeit.
Die ruhige Hand des Präsidenten
Der linke Arm schwingt im Takt des militärisch-steifen Schrittes. Der rechte Arm, er hängt angewurzelt, wie bei einer Nussknackerfigur, bleibt unbewegt.
Manche sehen in Putins "ruhigem" Arm einen Beweis für dessen Parkinson-Erkrankung. Dass der Arm Putins so gut wie immer auf Höhe seiner Hüfte verweilt, könnte jedoch auch einen anderen Grund haben. Der russische Präsident arbeitete einst als Agent für den sowjetischen Geheimdienst KGB. Die alarmierte Stellung des Arms, von Neurologen als "Gang der Schützen" bezeichnet, soll Teil der Agenten-Ausbildung sein. So könnte in Gefahrensituationen schnell reagiert, die Waffe gezückt werden.
So unlesbar und Poker-Face-versteinert Putins Gesicht anmutet, seine Arme verraten ihn. Putins Gliedmaßen, sie sind so etwas wie der verlängerte Arm der Wahrheit im Message-Control-Kreml.
Bizarre Auftritte oder gefälschte Videos?
Wie Zeitungen zu Beginn der Russland-Invasion analysierten, überlässt Putin selbst im "Live-Fernsehen" nichts dem Zufall. Als der Präsident am 21. Februar die eroberten ukrainischen Separatisten-"Republiken" Donezk und Luhansk feierlich im russischen Fernsehen anerkannte, war er seiner Zeit voraus. Denn die Uhren eines Separatistenführers und jene von Putin selbst zeigten 22.15. Die Ausstrahlung fand jedoch erst ab 22.35 Uhr statt. Der russische Machtapparat hatte die Aufzeichnung also bereits zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt aufgenommen, die Live-Inszenierung, die eine unmittelbare Reaktion im Ukraine-Konflikt suggerierte, war "Fake", sind sich Beobachter einig.
Im März sorgte ein weiterer Auftritt von Putin, dieses Mal im Zuge des Weltfrauentages, für Spekulationen im Netz. Ein Video zeigt den russischen Präsidenten an einer langen Tafel, umgeben von Mitarbeiterinnen der heimischen Fluglinie "Aeroflot". An einer Stelle des Videos holt Putin zu einer auffälligen Handbewegung aus und streift dabei das Mikrofon vor sich. Nur: Die Hand löst sich in diesem Moment scheinbar auf. Twitter-Nutzer sehen in dem Video einen Beleg, für Putins Fake-Inszenierung. Der Vorwurf: Der Präsident hätte sich in die Aufnahme hineinschneiden lassen. Ebenfalls auffällig: Zu Putins Linken sitzt eine Dame, die wiederum stark an eine Frau von älteren Putin-Auftritten erinnert. Mit dem Unterschied, dass diese in früheren Videos als Eisverkäuferin und Selfie-Jägerin in Erscheinung trat.
Wie die britische Tageszeitung "Daily Star" unter Berufung auf den britischen Geheimdienst schreibt, könnten vorproduzierte Videoauftritte von Wladimir Putin auch künftig zum Einsatz kommen. Demnach würde der Kreml, selbst bei einem Ableben des Präsidenten, über Wochen und Monate versuchen, dessen Unversehrtheit (z. B. mittels Doppelgänger) zu fälschen.