Sie galt lange als perfekte Kandidatin, dann kamen viele andere Namen ins Gespräch – und am Ende wird sie es doch: Élisabeth Borne, die bisherige Arbeitsministerin, soll die nächste Premierministerin Frankreichs werden. Die 61-Jährige wäre damit die zweite Frau überhaupt auf diesem Posten nach Édith Cresson 1991/92. Eine Frau, links, loyal und regierungserfahren – das perfekte Profil für Präsident Emmanuel Macron.
Im Unterschied zu ihrem Vorgänger Jean Castex, der vor seiner Ernennung zum Premierminister ein weitgehend unbekannter Bürgermeister einer Kleinstadt in den Pyrenäen war, ist Borne den Franzosen gut bekannt. Sie hat derzeit ihr drittes Ministeramt unter Macron inne und gilt als seriöse und loyale Politikerin. Sie zählt zu den wenigen, die von Beginn an zu seiner Regierungsmannschaft zählten.
Politischer Aufstieg
Die gebürtige Pariserin wuchs in schwierigen Verhältnissen auf. Sie verlor früh ihren Vater und kam in die Obhut des Staates. Sie schaffte es dennoch auf zwei der Eliteschulen des Landes und arbeitete lange im öffentlichen Dienst. Ihren politischen Aufstieg begann sie im Umfeld der sozialistischen Minister Lionel Jospin und Jack Lang. Später arbeitete Borne eine Zeit als Stadtplanerin für die Stadt Paris.
Zu ihren Mentorinnen zählt die ehemalige sozialistische Präsidentschaftskandidatin und Umweltministerin Ségolène Royal. Borne war 2013 Präfektin der Region Poitou-Charentes, als Royal an der Spitze der Region stand, und wurde 2014 Royals Bürochefin im Umweltministerium.
Ihre Erfahrung als Chefin des Pariser Nahverkehrsverbundes RATP qualifizierte sie für ihren ersten Regierungsposten. Macron ernannte sie nach seiner Wahl 2017 zur delegierten Transportministerin. In diesem Amt setzte sie sich unter anderem für einen landesweiten Fahrradplan ein.
Ihr größter Erfolg war in diesem Amt die von Macron vorangetriebene Bahnreform, die die Regierung gegen massiven Widerstand und nach wochenlangen Streiks durchsetzte.
Nach dem unrühmlichen Abschied des Umweltministers François de Rugy, der wegen zu hoher Spesen zurücktreten musste, übernahm Borne das Umweltministerium. In ihrer Zeit fällt das mehrfach verschobene Abschalten des Atomkraftwerks Fessenheim nahe der deutschen Grenze.
Borne nahm auch im Namen des Präsidenten im Juni 2020 die Vorschläge des Bürgerklimafonds entgegen, die Macron laut eigener Aussage ungefiltert umsetzen wollte. Das entsprechende Gesetz, das erst nach dem Ende ihrer Zeit als Umweltministerin verabschiedet wurde, blieb jedoch weit hinter den geweckten Erwartungen zurück. "Ihr ist es nicht gelungen, die Umweltpolitik ins Zentrum der Politik zu stellen", bilanzierte die Zeitung "Le Monde".
Bislang Arbeitsministerin
Seit knapp zwei Jahren steht Borne an der Spitze des Arbeitsministeriums, wo sie unter anderem eine umstrittene Reform der Arbeitslosenversicherung durchsetzte. Sie hätte auch die besonders heikle Pensionsreform angehen sollen, die dann wegen der Coronapandemie auf die lange Bank geschoben wurde. Während dieser Zeit rief Borne den Unternehmen immer wieder die Pflicht zum Homeoffice in Erinnerung.
Bei den Gewerkschaften gilt sie als strenge Technokratin. "Mit Empathie braucht man bei ihr nicht zu rechnen", sagte ein Gewerkschaftsmitglied.
Über ihr Privatleben ist wenig bekannt. Sie hat einen Sohn und ist geschieden. In einem Interview bezeichnete sie sich als Mitglied der jüdischen Gemeinschaft. Im vergangenen März erkrankte sie relativ schwer an Corona und verbrachte mehrere Tage im Krankenhaus, wo sie auch mit Sauerstoff versorgt wurde.
Ihr neues Amt ist auch eine Rückkehr zu den Wurzeln. Macron will die großen Linien der Umweltpolitik zu den Aufgaben seiner Premierministerin hinzufügen – gewissermaßen eine zweite Chance, die Umweltpolitik ins Zentrum der Politik zu stellen.