Innerhalb von drei Monaten hatte sich das Blatt gewendet. Als Russland Ende letzten Jahres seine Truppenbewegungen startete, erwachte in Finnland die Debatte um einen Nato-Beitritt von Neuem.
Noch im Jänner ergab eine Umfrage, dass 28 Prozent dafür und 42 Prozent dagegen waren, das entsprach im Grunde noch dem jahrelangen Trend. Nach dem 24. Februar, dem Tag des Einmarsches der Russen in die Ukraine, änderte sich das Bild schlagartig, wie der finnische Politologe Henri Vanhanen ausführt: "Mittlerweile sind 76 Prozent der Finnen für einen Beitritt, auch in der gesamten Parteienlandschaft hat sich die Meinung geändert", schreibt Vanhanen auf Twitter.
Der finnische Präsident Sauli Niinistö und Ministerpräsidentin Sanna Marin haben sich nun für einen "unverzüglichen" Nato-Beitritt ihres Landes ausgesprochen. In einer gemeinsamen Erklärung befürworteten die beiden am Donnerstag eine Mitgliedschaft in der westlichen Militärallianz. Es wird damit gerechnet, dass Finnland in den kommenden Tagen einen Beitrittsantrag stellen wird.
Reaktion aus dem Kreml
Der Kreml teilte daraufhin mit, dass der finnische Nato-Beitritt "definitiv" eine Bedrohung für Russland darstelle. Die Erweiterung des Militärblocks werde weder Europa noch die Welt stabiler machen. Gegenüber Reportern sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, die Schritte Finnlands in Richtung Nato seien bedauerlich und ein Grund für eine symmetrische Antwort darauf.
Anfang kommender Woche wird sich das Parlament dafür aussprechen. Der Beitritt könnte dann bereits beim kommenden Nato-Gipfel im Juni in Madrid besiegelt werden. Den gleichen Weg geht Schweden, wo das Ergebnis der parlamentarischen Sicherheitspolitik-Prüfung morgen erwartet wird.
Beide Länder haben längst mit der Nato zusammengearbeitet, zum Teil intensiv. Der informelle Status sei aber, so Vanhanen, seit dem Angriff Russlands nicht mehr haltbar.
Unerwarteter Aufschwung
Die Nato erlebt derzeit einen Aufschwung, mit dem noch vor kurzer Zeit kaum jemand gerechnet hatte. Vor drei Jahren nannte sie der französische Präsident Emmanuel Macron gar "hirntot". Der "Nordatlantikpakt", 1949 gegründet und bis heute als Verteidigungsbündnis konzipiert, stand ursprünglich dem Warschauer Pakt gegenüber; Herzstück ist der "Artikel 5", die Beistandspflicht im Fall eines Angriffs. Mit dem Zerfall des Ostblocks änderte sich der Fokus – und ein Großteil der östlichen Staaten wurde seither Nato-Mitglied, sehr zum Missfallen Russlands.
Die Nato, deren Hauptsitz in Brüssel ist und die traditionell von einem amerikanischen Oberbefehlshaber (derzeit General Tod Wolters) und einem europäischen Generalsekretär (der Norweger Jens Stoltenberg, sein Vertrag wurde soeben um ein Jahr verlängert) geleitet wird, wandte sich immer mehr Einsätzen außerhalb ihres eigenen Gebietes zu. Zwei markante Ereignisse markieren die letzten Jahrzehnte: Im Kosovokrieg 1999, im ehemaligen Jugoslawien, griffen Nato-Truppen unter Führung der USA, aber ohne UN-Mandat, aktiv ins Geschehen ein und flogen zwischen März und Juni Luftangriffe gegen serbische Ziele. Es war kein Bündnisfall, der dazu führte, der umstrittene Einsatz wurde nach Massakern an der Zivilbevölkerung durchgeführt, um eine humanitäre Katastrophe abzuwenden.
Fünf Jahre davor, zwischen 1993 und 1995, flog die Nato Tausende Einsätze zur Durchsetzung einer Flugverbotszone in Bosnien und führte schließlich gemeinsam mit der UNO eine Operation gegen bosnische Serben durch. Und nach den Terroranschlägen auf die USA 2001 erklärte die Nato erstmals in der Geschichte den Bündnisfall und marschierte als Teil internationaler Truppen in Afghanistan ein – bis zum Abzug sollten dort 3500 Soldaten ihr Leben verlieren.
Derzeit besteht die Allianz aus 30 Ländern, 21 davon (und bald 23) sind auch EU-Mitglieder. Der Krieg gegen die Ukraine hat dazu geführt, dass überall die Verteidigungsausgaben, die zuletzt oft einem Spargebot unterlagen, markant angehoben wurden. Mit einer Reihe von Ländern ist die Allianz freundschaftlich verbunden. Auch Österreich kooperiert in manchen Bereichen und erlaubt etwa Überflüge oder Waffentransporte, rechtlich geregelt durch das "Truppenaufenthaltsgesetz" aus dem Jahr 2001.