In einem weiteren umstrittenen Prozess gegen den inhaftierten Regimekritiker Alexej Nawalny hat ein russisches Gericht den 45-Jährigen zu neun Jahren Straflager mit besonders harten Haftbedingungen verurteilt. In dem als politische Inszenierung kritisierten Verfahren sprach die Richterin den bekanntesten Gegner von Präsident Wladimir Putin am Dienstag laut Nachrichtenagentur Interfax unter anderem wegen Betrugs schuldig. Nawalnys Anwälte hatten Freispruch gefordert

Nawalny war zuvor am Dienstag wegen Veruntreuung schuldig gesprochen worden. "Nawalny hat Betrug begangen - den Diebstahl von fremdem Eigentum durch eine organisierte Gruppe", sagte Richterin Margarita Kotowa beim Prozess in einer Strafkolonie östlich von Moskau. Nawalny wurde zugleich auch wegen Missachtung des Gerichts in einem früheren Verfahren schuldig befunden.

"Politische Verfolgung"

Nawalny (45) und seine Anwälte weisen die Vorwürfe zurück und sprechen von "politischer Verfolgung". Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International verurteilten den Prozess als Farce.

Der Widersacher von Staatschef Wladimir Putin erschien in seiner schwarzen Gefängnisuniform in dem improvisierten Gerichtssaal in der Strafkolonie. Journalisten verfolgten die Urteilsverkündung per Video-Übertragung. Nawalny hörte aufmerksam zu, als die Richterin am Dienstagvormittag (Ortszeit) begann, das Urteil zu verlesen, und lächelte einige Male.

Nawalny sitzt in der hundert Kilometer östlich von Moskau gelegenen Strafkolonie in Pokrow eine zweieinhalbjährige Haftstrafe wegen Betrugs ab, zu der er vor gut einem Jahr verurteilt worden war. Die Staatsanwaltschaft forderte in dem neuen Verfahren in der vergangenen Woche wegen Veruntreuung und Missachtung des Gerichts insgesamt 13 Jahre Haft für Nawalny.

Der zweite Vorwurf des Prozesses bezog sich auf ein früheres Verfahren. Nawalny habe "das Gericht missachtet, indem er eine Richterin beschimpfte", sagte Richterin Kotowa. Die mögliche Höchststrafe für den Tatbestand der Veruntreuung beträgt in Russland zehn Jahre Haft. Auf die Missachtung von Gerichtsauflagen stehen bis zu sechs Monate Haft.

Der Anklagepunkt der Veruntreuung bezieht sich auf Vorwürfe, wonach Nawalny an seine politischen Organisationen gezahlte Spendengelder in Höhe von mehreren Millionen Euro für persönliche Zwecke genutzt haben soll.

Auf Nawalny war im August 2020 in Russland ein Anschlag mit einem Nervengift aus sowjetischer Produktion verübt worden, den er nur knapp überlebte. Nach mehrmonatiger medizinischer Behandlung in Deutschland kehrte er im Jänner vergangenen Jahres nach Russland zurück, wo er umgehend festgenommen wurde. Der Kreml-Kritiker macht Machthaber Putin für seine Vergiftung verantwortlich. Moskau weist die Vorwürfe zurück.

Seit seiner Inhaftierung gehen die russischen Behörden massiv gegen Nawalnys Unterstützer vor. Seine Regionalorganisation sowie seine Anti-Korruptionsstiftung wurden verboten. Nawalny selbst sowie einige seiner Mitstreiter wurden im Jänner auf eine offizielle Liste von "Terroristen und Extremisten" gesetzt.

Nawalnys Anti-Korruptionsstiftung hatte in den vergangenen Jahren eine Reihe Aufsehen erregender Videos über den Reichtum von Vertretern der russischen Elite veröffentlicht. Der 45-jährige Oppositionelle äußert auch vom Gefängnis aus immer wieder heftige Kritik am Kreml. Ende Februar hatte Nawalny seine Anhänger im Online-Dienst Instagram aufgerufen, gegen den russischen Militäreinsatz in der Ukraine auf die Straße zu gehen.