Die Nachrichten des Nachmittags überlagerten düster den Beginn des EU-Gipfels, den der französische Ratsvorsitz in der malerischen Kulisse von Schloss Versailles ausgerichtet hat. Dort, wo einst der Friedensvertrag nach dem Ersten Weltkrieg ausgehandelt worden war, musste man nun über den Krieg sprechen. Das Treffen mit Russlands Außenminister Lawrow in Antalya war nicht gut gelaufen und Gastgeber Emmanuel Macron zeigte sich „besorgt und pessimistisch“ – Europa müsse sich auf alle Szenarien einstellen. Es werde, so Macron, „keine Lösung in den nächsten Stunden und Tagen geben“. Zuvor schon hatte die Kommissionspräsidentin den Angriff auf die Geburtsklinik in Mariupol als „unmenschlich, grausam und tragisch“ verurteilt und eine eigene Untersuchung verlangt, sie sei überzeugt, dass es sich um ein Kriegsverbrechen handle.

EU-Beitritt „extrem langwierig und sehr komplex“

Der Gipfel, der am Freitag fortgesetzt wird, arbeitet an einer zweiteiligen Schlussfolgerung, der „Erklärung von Versailles“. In einem Dokument geht es um die Ukraine an sich, im zweiten um die Auswirkungen auf die EU und die nötigen Maßnahmen. Dem Land wird weiterhin volle Solidarität zugesichert – „Wir werden euch nicht allein lassen“, heißt es im Entwurf der Erklärung – und die EU zeigt sich entschlossen, den Druck auf Russland und Weißrussland weiter zu erhöhen.

Geteilter Meinung sind die Länder allerdings weiterhin, was den schnellen EU-Beitritt der Ukraine angeht. Mehrere europäische Staats- und Regierungschefs – darunter Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) – haben die Hoffnungen der Ukraine auf eine baldige EU-Mitgliedschaft gedämpft. Ein solches Beitrittsgesuch sei „extrem langwierig und sehr komplex“, sagte Nehammer. Der EU-Beitritt der Ukraine könne einmal das Ziel sein, bekräftigte er am Freitagmorgen nochmals im Ö1-Journal, es gäbe allerdings auch etwa die Staaten am Westbalkan, die in die EU wollen. Die Ukraine brauche jetzt Solidarität und Hilfe.

Der niederländische Regierungschef Mark Rutte argumentiert, dass die Ukraine jetzt sofort Unterstützung brauche, ein beschleunigter Beitritt sei nicht die Lösung. Von der Leyen betonte, die Ukraine sei Teil der europäischen Familie. Wie schon berichtet, ist ein erweitertes Assoziierungsabkommen die am schnellsten umsetzbare Variante, nebst weiteren positiven Signalen, die auch für die Nachbarn Moldau und Georgien gelten.



Während man also Einigkeit und Entschlossenheit zeigte und festhielt, dass Europa allen Kriegsflüchtlingen vorübergehenden Schutz gewährt, gingen die Meinungen über die nötigen Finanzmechanismen zum – nach Corona – nächsten Wiederaufbau der Wirtschaft auseinander. Macron spricht von einem Resilienzplan für die Wirtschaft und meint, die Investitionen müssten außer privat und staatlich auch von der EU gemeinsam finanziert werden. Zu Beginn der Woche gab es Berichte, es sei ein weiterer Aufbaufonds in Höhe von 500 Milliarden Euro in Planung, was die Kommission dementierte.

Nehammer: "Gegen Krise investieren"

Aufhorchen ließ in diesem Punkt Kanzler Nehammer. „In einer Krise ist es immer notwendig, gegen die Krise zu investieren“, sagte er vor dem Gipfel. „Investitionen sind jetzt notwendig und wichtig, genauso auch, dass man sie gemeinschaftlich durchführt.“ Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi zeigte sich offen für den Vorschlag eines schuldenfinanzierten EU-Fonds: „Italien und Frankreich sind vollständig auf einer Linie.“ In anderen Ländern stößt diese Idee auf große Skepsis.
Differenzierte Meinungen gibt es auch noch über den Umgang mit den Energielieferungen. Die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, forderte eine Einschränkung der russischen Importe von Gas, Öl und Kohle in die EU. „In diesem Moment der Krise müssen wir uns daran erinnern, dass Energie politisch ist.“ Länder wie Polen oder die baltischen Staaten unterstützen das, Deutschland, Österreich und andere bremsen. Im Textentwurf wird jedenfalls festgehalten, Russlands Angriffskrieg stelle eine tektonische Verschiebung der europäischen Geschichte dar, nun sei es an der Zeit, mehr Verantwortung zu übernehmen und Schritte zu setzen zum Aufbau neuer Souveränität, zur Verringerung der Abhängigkeiten und zur Gestaltung eines neuen Wachstums- und Investitionsmodells.

Die EU-Länder wollen nun die Verteidigungsausgaben stark erhöhen, die koordinierte Zusammenarbeit intensivieren und eine Verteidigungsindustrie hochziehen. Die Kommission soll bis Mitte Mai die Ausgangslage analysieren. Die Sicherheit der Energieversorgung erfordere eine „gründliche Neubewertung“, auch in Hinblick auf die Klimaneutralität. Als fix gilt, dass die Abhängigkeit von Importen abgebaut wird. Bis zum nächsten Gipfel in zwei Wochen sollen Möglichkeiten geprüft werden, wie die EU auf die extrem gestiegenen Energiepreise reagiert.