Russland behauptet bereits seit Jahren, die Nato habe mit der Osterweiterung Wortbruch begangen. Auch Kreml-Chef Wladimir Putin sprach in einer TV-Ansprache am Montag ausführlich darüber. Die Nato, klagte Putin, habe Russland betrogen. Mit ihm weist Moskau dem Westen die Schuld an der neuen Konfrontation zu – und reklamiert die Rolle des Opfers, das sich gegen militärische Einkreisung wehrt. Aber trifft er auch zu?
"Not one inch!"
„Formal gesehen: nein. Aber es gibt Hinweise, dass dieses Thema erörtert wurde“, sagt Mary Elise Sarotte, Professorin für Zeitgeschichte in Harvard zur „Welt“. Die Historikerin befasst sich seit Jahren mit dieser Frage. Soweit die kurze Erklärung. Tatsächlich war es so, dass in den Verhandlungen um die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 das Thema Osterweiterung der Nato besprochen wurde. Und in einem dieser Gespräche sagte US-Außenminister James Baker sinngemäß zu Michail Gorbatschow: „Was wäre mit dieser hypothetischen Idee: Sie erlauben Deutschland, sich wiederzuvereinigen. Und wir sagen Ihnen: Die Nato bewegt sich keinen Zentimeter Richtung Osten.“ Er bekräftigte das mit dem Ausspruch: „Not one inch!“ („keinen Zentimeter!“). Daraufhin antwortet Gorbatschow: „Ja, das klingt nach einer guten Idee, da sollten wir einmal drüber sprechen.“
Moskau unterzeichnete Vertrag
„Das ist passiert. Das kann ich als Historikerin mehrfach problemlos belegen. Das Entscheidende ist jedoch, dass es nichts Schriftliches gibt“, sagt Sarotte. Was jedoch niedergeschrieben wurde, ist der Zwei-plus-vier-Vertrag vom September 1990. Und in diesem Vertrag steht, dass die Nato Artikel 5, die Beistandsverpflichtung, über die Kalte-Kriegs-Linie ausweiten darf – sprich: über das Gebiet der DDR ausweiten. „Und das hat Moskau unterschrieben. Aber das erwähnt Putin heute nicht, weil es seinen Zwecken nicht dient“, resümiert die Forscherin.
Außenpolitik-Ressortleiterin Maria Schaunitzer