In der Ostukraine hat sich die militärische Lage am heutigen Freitag weiter verschlechtert. Nachdem Diplomaten von den heftigsten Kämpfen seit dem Jahr 2015 berichteten, forderte die pro-russische Führung des Separatistengebiete die Zivilbevölkerung zur Flucht nach Russland auf. Der russische Präsident Wladimir Putin sprach von einer "Verschlechterung der Lage", Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nannte sie "sehr besorgniserregend".
Die Separatisten im Osten der Ukraine haben Kinder bei einem Waisenhaus versammelt, um mit ihnen die Evakuierungen nach Russland zu beginnen. Das berichtet die russische Nachrichtenagentur Interfax am Freitag.
Zuerst sollten "Frauen, Kinder und ältere Leute" in Sicherheit gebracht werden, sagte der Chef der Donezker Separatisten, Denis Puschilin, in einer am Freitag veröffentlichten Ansprache. "Eine zeitweise Ausreise bewahrt Ihnen und Ihren Verwandten das Leben." Die Separatisten warfen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor, er wolle "in nächster Zeit" eine Offensive starten. Puschilin sagte, dass die Kampftruppen bereit seien, das "Staatsgebiet" gegen einen Angriff der Ukraine zu verteidigen. "Wir werden siegen", sagte er zum Ende der Videobotschaft.
Die Situation im Donbass steuere auf einen Krieg zu. "Leider ja", sagte Puschilin in einer Sendung des Fernsehsenders "Rossija 24" und beantwortete damit die Frage, ob die Lage im Donbass auf einen ausgewachsenen Krieg zusteuere. Das berichtete die Agentur RIA Nowosti am Freitag
Lautes Sirenengeheul
Ähnlich wie Puschilin äußerte sich kurze Zeit später auch die Führung der zweiten Separatisten-"Republik" Luhansk. Auch von dort sollten Zivilisten evakuiert werden. Wenig später berichteten Augenzeugen davon, dass im Zentrum der Separatistenhauptstadt Donezk lautes Sirenengeheul zu hören war.
"Im Moment sehen wir eine Verschlechterung der Lage", sagte Putin auf einer Pressekonferenz mit dem verbündeten belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko in Moskau am Freitag. Ähnlich äußerte sich der russische Außenminister Sergej Lawrow. Er sprach von einem alarmierenden und starken Anstieg des Beschusses. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte auf eine Frage nach den von den Separatisten bekanntgegebenen Evakuierungen: "Ich weiß nicht, was derzeit dort los ist."
Kurze Zeit später berichtete die Nachrichtenagentur TASS, bei einer Detonation in Donezk habe es sich nach Angaben der örtlichen Behörden um die Explosion eines Autos gehandelt. Der Agentur Interfax zufolge wurde niemand verletzt. Die Agentur RIA Nowosti hatte zuvor gemeldet, der Vorfall habe sich in der Nähe des Regierungsgebäudes der Separatisten ereignet.
Der russische Präsident Wladimir Putin ordnete laut Agentur Interfax an, in Russland Unterkünfte für Einwohner des ukrainischen Donbass zu bereitzustellen. Dafür solle Katastrophenschutzminister Alexander Tschuprijan unverzüglich in die Region von Rostow am Don reisen.
Nach Angaben der Agentur Reuters sollen 700.000 Menschen aus der Region nach Russland evakuiert werden. Der russische Präsident Wladimir Putin ordnete an, jeder Flüchtling solle 10.000 Rubel (114 Euro) bekommen. Der Präsident habe angewiesen, dass die Menschen untergebracht werden, warmes Essen bekommen und erhielten, was sie sonst noch brauchten, darunter auch medizinische Versorgung, hieß es in einer Stellungnahme.
Biden plan Rede zu Ukraine-Krise
US-Präsident Joe Biden will sich am Freitag um 22.00 Uhr zur angespannten Lage im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine äußern. Das teilte das Weiße Haus in Washington mit.
US-Außenminister Antony Blinken betonte, dass die westliche Geschlossenheit gegenüber Russland auch halten werde, wenn die Krise an der Ukraine-Grenze sich lange hinziehe. Man werde den Fokus auch in den nächsten Monaten nicht verlieren, betont Blinken auf der Münchner Sicherheitskonferenz.
Ukraine weist Vorwürfe zurück
Die Ukraine bestritt den russischen Vorwurf von Angriffen oder Sabotage-Akten. "Wir weisen kategorisch russische Desinformations-Berichte über angebliche Angriffe oder Sabotage zurück", erklärte der ukrainische Außenminister Dmitro Kuleba auf Twitter. Die Ukraine führe weder solche Operationen aus noch plane sie solche.
In der Ostukraine nimmt die Gewalt seit Tagen zu. Wie AFP-Reporter berichteten, dauerten Bombardements in der Nähe des Dorfes Stanyzia-Luhanska auch am Freitag an. Die ukrainische Armee und die pro-russischen Separatisten machten sich für den Vorfall gegenseitig verantwortlich. Westliche Staaten und die NATO hatten am Donnerstag vor einer russischen Provokation in dem Gebiet gewarnt. Russland könnte auf diese Weise versuchen, einen Vorwand zu schaffen, um einen militärischen Konflikt zu rechtfertigen, sagte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin.
Alles Inszenierung?
Ähnlich äußerte sich bei der Münchner Sicherheitskonferenz auch US-Außenminister Antony Blinken. Alles, was derzeit zu beobachten sei, sei "Teil eines Szenarios, das bereits im Gange ist: nämlich falsche Provokationen zu schaffen, dann auf diese Provokationen reagieren zu müssen und schließlich eine neue Aggression gegen die Ukraine zu begehen". Die US-Regierung warnt seit längerem davor, Moskau könne künstlich einen Vorwand inszenieren, um einen Angriff auf die Ukraine öffentlich zu rechtfertigen.
Macron sprach am Rande des EU-Afrika-Gipfels am Freitag von einer "sehr besorgniserregenden" Situation in der Ostukraine. Es gebe Berichte über mehrere Opfer. Zudem gebe es keine Beweise dafür, dass Russland die Lage deeskaliere.
Putin hatte zuvor ein Manöver mit Einsatz ballistischer Raketen angekündigt. Die Übung am Samstag stehe unter Führung des Präsidenten, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Freitag mit. Ziel sei es, die Zuverlässigkeit der strategischen Nuklearwaffen zu testen. Die Armee will demnach ballistische Raketen und Marschflugkörper abfeuern. Unterdessen gingen die heftigen Kämpfe in der Ostukraine weiter. Ob Kremlchef Putin als Oberbefehlshaber zu der Übung reist oder sich per Video zuschaltet, war zunächst unklar. Das Manöver sei im Voraus geplant gewesen, teilte das Ministerium weiter mit. Russland testet mehrfach im Jahr Raketen. Das Land und die USA sind die beiden mit Abstand größten Atommächte der Welt.
Lukaschenko beriet am Freitag mit Putin darüber, wie lange die russischen Truppen nach dem für den 20. Februar geplanten Abschluss des gemeinsamen Manövers in Belarus (Weißrussland) bleiben. Der weißrussische Präsident ließ am Donnerstag den Abzugstermin offen. "Wenn wir eine Entscheidung treffen, werden wir (die Truppe) innerhalb von 24 Stunden abziehen. Wenn wir uns für einen Monat entscheiden, bleiben sie einen Monat. Die Streitkräfte bleiben so lange wie nötig", sagt er der Nachrichtenagentur Belta zufolge.
Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow war indes um Beruhigung bemüht. Er schätze die Wahrscheinlichkeit einer "großangelegten Eskalation" vonseiten Russlands gegenüber der Ukraine als niedrig ein. Das sagt er im Parlament unter Verweis darauf, dass die ukrainischen Geheimdienste "jede Bewegung sehen, die eine potenzielle Bedrohung für die Ukraine darstellten könnte". Russland habe etwa 149.000 Soldaten rund um die Ukraine zusammengezogen und Tausende weitere würden in Kürze erwartet, fügt er hinzu.
Russische Manöver in der Nähe der Ukraine stoßen derzeit im Westen auf Kritik. Das Verteidigungsministerium hatte zuletzt angekündigt, dass seine Truppen nach Ende von Übungen wieder zu ihren Standorten zurückkehren sollten. Einige Soldaten sowie militärisches Gerät seien bereits abgezogen worden. Das wurde im Westen angezweifelt. Russland verlangt zudem vom Westen Sicherheitsgarantien für sich.