Sehr viel hat sich in der Ukraine-Krise in den letzten Tagen nicht bewegt – zumindest nicht in die richtige Richtung. Ein diplomatischer Durchbruch lässt weiter auf sich warten. Wladimir Putin, der sagt, keinen Krieg zu planen, setzt den Truppenaufmarsch fort: Mehr als 110.000 russische Soldaten sollen Erkenntnissen westlicher Nachrichtendienste zufolge mittlerweile vor den Grenzen der Ukraine stehen. Nato-Chef Stoltenberg schloss – für den Fall einer russischen Invasion – einen Kampfeinsatz der Nato in der Ukraine dezidiert aus, weil diese kein Mitglied der Nato sei. Unterdessen schickt die Allianz zur Abschreckung zusätzliche Soldaten in ihre osteuropäischen Mitgliedsländer.

Günstiges Gas

Entspannte Umstände sind das nicht. Vor dieser Kulisse reist Ungarns Premier Viktor Orbán heute nach Moskau, um dem Kremlchef einen Besuch abzustatten. Es ist das erste persönliche Treffen des russischen Staatsoberhaupts mit einem Regierungschef eines Nato-Mitgliedstaats seit der Eskalation des Konflikts. Ob der Besuch zu einer Beruhigung der Lage beitragen wird, bleibt abzuwarten: Als klassische Vermittlungsreise ist der Moskau-Besuch Orbáns offenbar nicht geplant. Auf dem offiziellen Programm stehen Gespräche über den Ausbau des Atomkraftwerks Paks durch den russischen Konzern Rosatom, günstigere russische Gaslieferungen für Ungarn, die geplante Produktion russischen Sputnik-Impfstoffs in Ungarn und gemeinsame Forschungsprojekte im All. Um den Einsatz von Gulaschkanonen auf dem Planeten Mars dürfte es angesichts der Kriegsgefahr dabei nicht gehen. Wahrscheinlicher ist schon, dass sich Putin von Orbán angesichts des aufgeheizten Ost-West-Konflikts dessen Loyalität versichern wird.



Orbán, der 1989 als junger Dissident bekannt wurde, als er den Abzug der sowjetischen Truppen aus Ungarn forderte, hat in den vergangenen Jahren eine Kehrtwende vollzogen. Er gilt heute als Putins wichtigster Verbündeter im Westen. Die Sanktionen, die nach der Annexion der Krim gegen Russland verhängt wurden, hat Orbán oftmals kritisiert und ihre Aufhebung gefordert. Ungarn wird in Russland sehr geschätzt – als „eines der wenigen Länder, das sich erlaubt, eine eigene Meinung über die Lage in Europa zu haben“, erklärte das russische Staatsfernsehen kürzlich. Und ergänzte: „Ungarn hat den russischen Impfstoff gekauft und schon eine Million seiner Bürger damit gespritzt.“

Die ungarische Gesellschaft ist in der Frage des Verhältnisses zu Moskau gespalten. Die Opposition wirft Orbán einen Ausverkauf Ungarns vor und die Untergrabung westlicher Positionen und Werte.
Tatsächlich ist Orbán aus Sicht Moskaus der optimale Verbündete innerhalb der EU: Er wettert immer wieder gegen Brüssel, legt sich bei gemeinsamen außenpolitischen Entscheidungen oftmals quer und fährt innenpolitisch einen Kurs, der, wie Orbán selbst sagt, das Ziel einer „illiberalen Demokratie“ verfolgt. Das Ausmaß der staatlichen Kontrolle über die Medien in Ungarn nennt die Organisation Reporter ohne Grenzen „präzedenzlos für ein EU-Land“. Mehr als die Hälfte des Medienmarktes wird inzwischen von Orbán-Vertrauten kontrolliert, die Medienaufsichtsbehörde ist fest in der Hand der Orbán-Partei Fidesz.


Für Putin ist Orbán auch deshalb wichtig, weil er viele seiner sonstigen potenziellen Verbündeten in Europa zuletzt verloren hat. In Tschechien hat Präsident Milos Zeman, der als großer Freund Moskaus gilt, nach den letzten Wahlen an Einfluss eingebüßt. In Frankreich wurde Marine Le Pen doch nicht Präsidentin. In Italien ist mit Mario Draghi wieder ein europafreundlicher Regierungschef im Amt.

Rechtspopulisten

Zudem zeigt sich, dass die Ukraine-Krise auch die Rechtspopulisten Europas spaltet. Bei einem gemeinsamen Treffen in Madrid verurteilten sie „die Militäraktionen Russlands an der östlichen Grenze Europas, die uns an den Rand eines Krieges gebracht haben“. Vor allem die polnische Regierung, sonst häufig mit Orbán im Trotz gegen Brüssel vereint, sieht den russischen Truppenaufmarsch als große Gefahr.
Viktor Orbán, dem Anfang April Wahlen ins Haus stehen, muss bei Anhalten der Krise aufpassen, in Europa nicht völlig isoliert dazustehen.