Dem britischen Premierminister Boris Johnson schlägt immer mehr Gegenwind aus den eigenen Reihen entgegen. Der Tory-Abgeordnete Christian Wakeford kehrte der Partei des seit Wochen unter Druck stehenden Johnson den Rücken und geht zu Labour in die Opposition. Der frühere Brexit-Minister David Davis forderte Johnson am Mittwoch im Parlament zum Rücktritt auf: "In Gottes Namen, geh!" Der Premier lehnt einen Rückzug weiter ab.
Er habe Johnson wochenlang für seine Verdienste beim Brexit und in der Coronakrise verteidigt, sagte Davis. Er erwarte aber auch, dass Regierungsmitglieder die Verantwortung für ihre Taten übernähmen. Johnson verneinte unterdessen die Frage eines Abgeordneten der Liberaldemokraten, ob es nicht Zeit für einen Rückzug sei. Der Premier entschuldigte sich erneut für mögliche Fehleinschätzungen und erklärte, zunächst die Ergebnisse einer internen Untersuchung zu umstrittenen Partys abzuwarten.
Diverse Skandale
Der Regierungschef ist seit Wochen wegen diverser Skandale angeschlagen, darunter Partys während des Corona-Lockdowns. Immer mehr Konservative kritisieren ihn, laut Medienberichten steht Johnson vor einer parteiinternen Revolte. Das Verhalten Johnsons in den vergangenen Wochen sei beschämend gewesen, begründete Wakeford seinen Seitenwechsel. Bei seiner Entscheidung gehe es aber um mehr als um Partys während des Lockdowns und Johnsons Umgang damit, sagte der Vertreter von Bury South im Norden Englands, der erstmals 2019 in das Parlament einzog. "Ich kann eine Regierung nicht länger unterstützen, die den Bezug zu den hart arbeitenden Menschen in Bury South und im ganzen Land verloren hat."
Druck wächst
Die Zeitung "Daily Telegraph" und der Sender ITV News hatten berichtet, dass Johnson schon am Mittwoch genügend konservative Abgeordnete per Brief das Vertrauen entziehen und eine entsprechende Abstimmung im Unterhaus in die Wege leiten könnten. Die für eine Vertrauensabstimmung notwendige Zahl von 54 solcher Briefe könne überschritten werden, schrieb auch die BBC-Politikexpertin Laura Kuenssberg.
Entschuldigung bei Queen Elizabeth II.
Johnson entschuldigte sich bereits mehrfach für diverse Partys während der Lockdowns - auch bei Königin Elizabeth II. So hatte es Berichte über Partys im April 2021 gegeben, die nicht nur trotz Einschränkungen gefeiert wurden, sondern auch noch am Vorabend der Beisetzung von Prinz Philip, dem Ehemann der Königin.
Am Dienstag sah sich Johnson Anschuldigungen seines früheren Beraters Dominic Cummings ausgesetzt, er habe bezüglich einer Gartenparty in der Downing Street am 20. Mai 2020 gelogen. Niemand habe ihn darüber aufgeklärt, dass gegen Corona-Auflagen verstoßen worden sei; er sei davon ausgegangen, dass es sich um eine Arbeitsbesprechung gehandelt habe, beteuerte Johnson.
Zustimmung sinkt
Die jüngsten Enthüllungen haben die Zustimmungswerte für Johnsons Konservative einbrechen lassen, die bei der Wahl 2019 noch eine deutliche Mehrheit erzielt hatten. Die Rufe nach einem Rücktritt werden immer lauter. Um eine Vertrauensabstimmung zu bewirken, müssen ihm 15 Prozent der konservativen Abgeordneten das Vertrauen entziehen und einen entsprechenden Brief an das mächtige Parteikomitee 1922 schicken. Dessen Vorsitzender bestimmt dann das Datum für eine Abstimmung im Unterhaus. Die könnte noch an dem Tag stattfinden, an dem die nötige Zahl erreicht wird.