Im Ganzen sei die Diskussion sehr nützlich gewesen, sagte Sergei Lawrow. Es gäbe in vielen Fragen Widersprüche. „Aber der Meinungsaustausch hat gezeigt, dass wir diese Widersprüche schrittweise überwinden können.“ Am Dienstag empfing Russlands Außenminister Sergei Lawrow seine deutsche Kollegin Annalena Baerbock zu ihrem Antrittsbesuch in Moskau. Der russische Chefdiplomat fand deutlich freundlichere Worte für seinen deutschen Gast, als viele Beobachter nach den heftigen rhetorischen Artilleriegefechten bei den Verhandlungen Russlands mit dem Westen in der vergangenen Woche erwartet haben.
Baerbock ihrerseits sprach von „großen, teilweise fundamentalen Meinungsverschiedenheiten“. Sie verwies auf Menschenrechte und gemeinsame Regeln, ohne die es im europäischen Haus keine Sicherheit gäbe. „In den letzten Wochen wurden über 100.000 russische Soldaten an der ukrainischen Grenze konzentriert – ohne ersichtlichen Grund.“ Das sei als Bedrohung zu betrachten. Baerbock klagte, seit ihrem Amtsantritt habe man weniger über die Zusammenarbeit mit Russland verhandelt als über gemeinsame Schritte des Westens, falls Russland seine Drohung verwirkliche, Gewalt anzuwenden.
Lieblingsfeindin der Russen
Seit ihrem Amtsantritt gilt die Grünen-Politikerin als Lieblingsfeindin der Russen, als notorische Sympathisantin der Ukraine, Kritikerin des Kremls im Allgemeinem und des Pipeline-Projektes Nord Stream 2 im Besonderen. Aber Baerbock schien gerade im eigenen Parteiprogramm nach Feldern gemeinsamer Interessen gesucht zu haben, redete ausführlich über Russlands enormes Potenzial, was erneuerbare Energien angehe.
Allein durch die Anpflanzung neuer Wälder könne Russland einen enormen Beitrag zur Bindung von Treibhausgasen leisten. Außerdem brauche man ein verlässliches Russland als Lieferant für Gas, das Europa noch einige Jahre benötige. Baerbock ging sehr demonstrativ auf die Russen zu.
Wiederbelebung der Friedensverhandlungen
Und wie schon bei ihrer Visite am Vortag in Kiew redete sie über die Wiederbelebung der Friedensverhandlungen im Donbass-Konflikt. Es sei sehr gut, dass alle Beteiligten sich zur Minsker Vereinbarungen und den Gesprächen im Normandie-Format bekannt hätten.
In Kiew hatte die Außenministerin aber auch das Nein des Westens zu Russlands Forderung nach einem garantierten Aufnahmeverbot für die Ukraine in die Nato wiederholt. „Kein Land hat das Recht, anderen Ländern vorzuschreiben, in welche Richtung sie gehen.“ Ein Kommentator der russischen Staatsagentur RIA Nowosti übersetzte das Bekenntnis grimmig als „Drang nach Osten“.
Außenminister Lawrow ging trotzdem auf Baerbocks Vorschläge ein, den Minsker Friedensprozesses neu zu starten. Viel Neues sagte er nicht. Wie üblich beschwerte er sich, dass man Russland als Konfliktpartei statt als Vermittler betrachte, dass die Ukraine die Verhandlungsergebnisse boykottiere.
Aber mit Blick auf den letzten Normandie-Gipfel in der französischen Hauptstadt 2019 gab er zu verstehen, dass es auch aus russischer Sicht durchaus Verhandlungsergebnisse gibt, an die man anknüpfen könnte. „Paris und Berlin müssen (den ukrainischen Präsidenten) Selenskyj dazu nötigen, das zu erfüllen, was er so oft versprochen hat.“ Auch parallele Bemühungen der USA in dieser Richtung würde er begrüßen.
Doch es bleibt ungewiss, ob die Friedensgespräche zum Donbass wieder in Gang kommen. Baerbock sagte, noch habe man nicht über konkrete Termine für ein neues Treffen der Außenminister im Normandie-Format gesprochen. Russland aber erwartet in dieser Woche von den USA und der Nato schriftliche Antworten auf ihre mündlich schon vielfach abgelehnten Forderungen zur Garantie der eigenen Sicherheit. Danach will Moskau entscheiden, ob und welche „militärtechnische“ Gegenmaßnahmen es ergreifen wird.
Streit auf Nebenschauplatz
Richtigen Streit gab es zwischen Baerbock und Lawrow auf einem Nebenschauplatz. Der Russe warf dem offiziellen Berlin vor, entgegen alle internationalen Konventionen über Pressefreiheit zu verhindern, dass der russische Staatssender RT DE eine Sendelizenz für Deutschland erhalte. Deutschland müsse der Diskriminierung russischer Journalisten ein Ende setzen. „Wenn nötig, werden wir einfach gezwungen sein, Gegenmaßnahmen zu ergreifen“, sagte er mit Blick auf die deutschen Journalisten in Russland. Seine Kollegin Baerbock verwies dagegen darauf, dass der deutschsprachige RT DE über das Internet jedermann zugänglich sei. Und Youtube, das den Kanal blockiert hat, fälle seine Entscheidungen selbst. „Eine Einmischung der deutschen Regierung würde auch der deutschen Verfassung widersprechen.“ RT DE scheint zu den Punkten zu gehören, wo die Meinungsverschiedenheiten zwischen Berlin und Moskau eher fundamental sind.
Stefan Scholl aus Moskau