Bei der umstrittenen Parlamentswahl in Hongkong ist die Beteiligung auf ein Rekordtief gefallen: Lediglich 30 Prozent der registrierten Wähler gaben ihre Stimme ab, wie Wahlleiter Barnabas Fung am Montag (Ortszeit) mitteilte. Dies ist die niedrigste Wahlbeteiligung, seit in Hongkong vor drei Jahrzehnten erstmals ein Parlament gewählt wurde. Gegen fünf Demokratie-Aktivisten wurden Haftbefehle wegen Aufrufs zum Wahlboykott erlassen.
Die Wahl, deren amtliches Endergebnis am Montag erwartet wird, fand erstmals auf der Grundlage eines umstrittenen neuen Wahlgesetzes statt, das die Zahl der direkt gewählten Abgeordneten drastisch verringert und die Zahl der Peking-treuen Repräsentanten vervielfacht. Zudem wurden vor der Abstimmung alle Kandidaten auf ihren "Patriotismus" und ihre politische Loyalität gegenüber Peking hin überprüft.
Pro-Demokraten ohne Kandidaten
Die größten pro-demokratischen Parteien der Stadt hatten keine Kandidaten aufgestellt. Dutzende prominente Oppositionelle - darunter viele, die bei der letzten Wahl Sitze im Parlament gewonnen hatten - wurden wegen Verstößen gegen das sogenannte Nationale Sicherheitsgesetz inhaftiert, von der Wahl ausgeschlossen oder flohen ins Ausland. Die Behörden erließen zudem Haftbefehle gegen Aktivisten im Exil, die zum Boykott der Wahlen oder zur Abgabe ungültiger Stimmzettel aufgerufen hatten.
Seit der Einführung eines umstrittenen sogenannten Sicherheitsgesetzes durch Peking im vergangenen Jahr gehen die Behörden in Hongkong hart gegen alle Aktivitäten vor, die nach ihrer Auffassung die nationale Sicherheit Chinas bedrohen. Die Behörden nahmen seither hunderte Demokratie-Aktivisten fest. Die Behörden beschuldigten am Samstag unter anderem den in Großbritannien lebenden Nathan Law, während einer Videokonferenz die Wahlberechtigten in der chinesischen Sonderverwaltungszone zum Zu-Hause-Bleiben aufgefordert zu haben.
Laut den von Peking in diesem Jahr massiv verschärften Gesetzen für Hongkong ist es strafbar, andere zu einem Boykott oder zur Abgabe ungültiger Stimmzettel anzustiften. Die nun erlassenen Haftbefehle betreffen auch Sunny Cheung, Timothy Lee, Carmen Lau und Kawai Lee, die alle Hongkong verlassen haben. Ihnen drohen bis zu drei Jahre Haft.
Die Gruppe veranstaltete am Donnerstag einen Livestream in Online-Netzwerken, in dem sie angeblich die Hongkonger aufforderten, zu Hause zu bleiben. Die Behörden beriefen sich auch auf Online-Inhalte von Cheung, der derzeit in den USA Asyl beantragt. Zuvor hatte Cheung erklärt, die Hongkonger dürften "das autokratische Regime nicht unterstützen und ihm helfen, sich einen pseudodemokratischen Anstrich zu geben". Er verurteilte die umstrittene Wahlrechtsreform, mit der sich Peking weitgehende Kontrolle über die Parlamentswahl in der Sonderverwaltungszone verschafft hat.
Zahlreiche Aktivisten waren aus Hongkong geflohen, nachdem die chinesische Führung im vergangenen Jahr das umstrittene sogenannte Sicherheitsgesetz erlassen hatte, das den Behörden in Hongkong ein hartes Vorgehen gegen alle Aktivitäten erlaubt, die nach ihrer Auffassung die nationale Sicherheit Chinas bedrohen. Über die Online-Netzwerke üben sie vom Exil aus weiterhin großen Einfluss auf die Demokratiebewegung aus, während viele Aktivisten in Hongkong strafrechtlich verfolgt werden.
Beobachter waren bereits im Vorfeld davon ausgegangen, dass viele Hongkonger der Wahl fernbleiben würden, da sie nach dem harten Durchgreifen Pekings jede Hoffnung auf demokratische Veränderungen in ihrer Heimat aufgegeben hätten.
Protest gegen Regierungschefin
Bei der Stimmabgabe von Regierungschefin Carrie Lam protestierten Demokratie-Aktivisten gegen die umstrittene Wahlrechtsreform, mit der sich Peking die Kontrolle über die Wahl verschafft hat. Lam hatte bereits vor der Wahl den Eindruck zurückgewiesen, dass Hongkonger mit einer geringen Wahlbeteiligung Kritik an der Regierung zum Ausdruck bringen wollten. Lam argumentierte dagegen, dass wenig Interesse an der Wahl zeigen würde, dass die Bürger keinen Wunsch nach Veränderung hätten.
Seit dem 1. Juli 1997 gehört die frühere britische Kronkolonie wieder zu China und soll eigentlich nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme" eigenständig regiert werden. Auch wurde den sieben Millionen Hongkongern damals zugesagt, über 50 Jahre noch bis 2047 "ein hohes Maß an Autonomie" und viele politische Freiheiten genießen zu können. Seit dem Erlass des Sicherheitsgesetzes reden viele aber nur noch von "Ein Land, ein System".