Sie sollen gefeiert haben, als Hunderte starben und Millionen ihre Lieben nicht sehen durften – und Tage später scherzten sie vor laufender Kamera über den eklatanten Regelbruch. Ein explosives Video aus der Downing Street über eine Weihnachtsfeier von Regierungsbeamten während des Corona-Lockdowns vor einem Jahr setzt den britischen Premierminister Boris Johnson erheblich unter Druck. Im Raum steht, dass Johnson über das Event gelogen hat.
An der Party selbst hat Johnson nicht teilgenommen. Im britischen Parlament schlug dem Premier am Mittwoch eine aufgeheizte Stimmung entgegen, Buhrufe begleiteten Johnson auf dem Weg zu seinem Platz. Für Oppositionsführer Keir Starmer ist klar: Der Premier hat seinen Laden nicht mehr im Griff. Der Fraktionschef der Schottischen Nationalpartei (SNP), Ian Blackford, forderte Johnson mit emotionalen Worten zum Rücktritt auf. Mehrmals musste Parlamentspräsident Lindsay Hoyle zur Ruhe mahnen.
Vor allem geht es um ein Video, in dem engste Vertraute des Premiers sich offensichtlich lachend überlegen, wie sie die Party schönreden können. Dazu sagte Johnson im Parlament: "Ich entschuldige mich vorbehaltlos für den Anstoß, den es im ganzen Land erregt hat, und entschuldige mich für den Eindruck, den es erweckt." Es werde eine interne Untersuchung geben, und die Regierung werde mit der Polizei kooperieren, versicherte er. Weiterhin aber betonte Johnson, ihm sei wiederholt versichert worden, weder habe es eine Party gegeben, noch seien Corona-Regeln gebrochen werden. Die mögliche Verantwortung schob Johnson den Mitarbeitern zu: Sollten doch Regeln gebrochen worden sein, werde es harte Konsequenzen geben.
Gleichzeitig zeigte sich Johnson demonstrativ unbeeindruckt von den Anschuldigungen. Der Opposition warf er vor, alte Geschichten hervorzukramen, um politische Spielchen zu spielen. Er hingegen blicke nach vorne und führe das Land aus der Coronakrise.
Doch auch in den eigenen Reihen mehren sich Stimmen, die zweifeln, ob mögliche schärfere Regeln wegen der Omikron-Variante überhaupt durchzusetzen sind, wenn in der Bevölkerung der Eindruck erweckt wird, dass die Regierung mit zweierlei Maß misst. In der Downing Street sollen nach Informationen mehrerer Medien 40 bis 50 Mitarbeiter am 18. Dezember 2020 eng an eng bei Wein und Häppchen gefeiert haben, es sei gewichtelt worden. Mittlerweile ist sogar von weiteren Partys in der Downing Street während des Lockdowns die Rede.
Damals galten scharfe Kontaktbeschränkungen, Partys und Versammlungen waren verboten. Die Regierung dementierte die Veranstaltung zwar nicht, betont aber seit Tagen, es seien keine Coronaregeln verletzt worden – wie nun auch Johnson es erneut tat.
Und das, obwohl der Sender ITV am Dienstagabend ein Video veröffentlichte, das ein paar Tage später, am 22. Dezember 2020, in der Downing Street aufgezeichnet wurde. In der Hauptrolle: Johnsons damalige Sprecherin Allegra Stratton, die für eine Pressekonferenz probt. Scherzhaft befragt ein Mitarbeiter Stratton nach einer Feier, die Anwesenden witzeln über "Wein und Käse". "Bei dieser fiktionalen Party hat es sich um ein Geschäftstreffen gehandelt, und es gab keine sozialen Abstandsregeln", antwortet Stratton lachend.
Das Echo: verheerend. ITV-Moderator Tom Bradby sagte seinem Millionenpublikum: "Sie lachen uns aus. Euch, mich, uns alle." Am schlimmsten dürfte Johnson aber die mittlerweile offene Kritik aus den Reihen seiner Konservativen Partei treffen. "Ich koche vor Wut. Meine Wähler haben jedes Recht, wütend zu sein", sagte die ehemalige Staatssekretärin Tracey Crouch dem Portal Kent Online. Sie forderte eine Entschuldigung. Mehrere Abgeordnete erinnerten daran, dass viele Menschen sich damals nicht von sterbenden Verwandten und Freunden verabschieden durften. Am 18. Dezember 2020 meldete die Regierung 514 Corona-Tote an einem Tag.
Ein führender Vertreter des Gesundheitsdienstes NHS sprach von einem harten Schlag für die Moral. Es werde deutlich schwieriger, dass sich Menschen an Regeln halten, wenn Entscheider diese selbst nicht befolgten, sagte Matthew Taylor dem Sender Sky News. Das ist aktuell umso verheerender, da die Omikron-Variante des Coronavirus sich in Großbritannien schnell verbreitet. Johnson soll derzeit sogar überlegen, entgegen seiner früheren Ankündigung Impfpässe zum Besuch von Großveranstaltungen vorzuschreiben.
Die Feier ist nicht der einzige aktuelle Skandal. Mehrere Medien berichten, dass Johnson und seine Frau Carrie Johnson sich dafür eingesetzt hätten, während des chaotischen Rückzugs aus Afghanistan Dutzende Katzen und Hunde aus dem Tierheim eines britischen Veteranen auszufliegen – zulasten britischer Staatsbürger und afghanischer Helfer. Johnson wies dies empört zurück. Ein Brief seiner Assistentin Trudy Harrison scheint die Berichte aber zu bestätigen.