Nach dem Fall der Berliner Mauer im Jahre 1989 verhandelten die USA und die Sowjetunion über die Bedingungen für die deutsche Wiedervereinigung. Dabei trafen Michael Gorbatschow und Präsident George Bush im Dezember in Malta zusammen. Nach Angaben des letzten US-Boschafters in der Sowjetunion, Jack Matlock sagte Bush zu, dass „die USA die Lage in Osteuropa nicht ausnutzen (würden), wenn die Sowjetunion keine Gewalt anwende“. Und im Februar 1990 machte dann Außenminister James Baker in Moskau die berühmte Aussage gegenüber Gorbatschow „not one inch to the East“ (keinen Zoll nach Osten).
Auch wenn es damals um die deutsche Einheit ging und die NATO-Osterweiterung erst 24 Jahre später erfolgte, lässt sich aus diesen Ereignissen durchaus ableiten, dass sich Russland vom Westen über den Tisch gezogen fühlen könnte. Denn vom „gemeinsamen europäischen Haus“ (Gorbatschow) ist nicht mehr viel übrig geblieben, und in die ukrainische Wohnung ziehen nun immer stärker der Westen und die NATO ein. Allein im kommenden Jahr sind in der Ukraine acht Militärmanöver geplant, zwei davon bilateral mit den USA.
Unzweifelhaft ist die Ukraine für Russland sicherheitspolitisch weit wichtiger als für die USA, die wohl kaum erfreut wären, würde Russland Militärmanöver in Mexiko durchführen, hätte die Sowjetunion den Kalten Krieg gewonnen. In diesem Sinne betonte Außenminister Sergej Lawrow, dass eine weitere NATO-Osterweiterung und die Stationierung von Waffen in der Nachbarschaft grundlegende russische Sicherheitsinteressen berühren würden.
All das Gesagte ist keine Rechtfertigung für die Annexion der Halbinsel Krim sowie für die russische Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine inklusive des Abschusses einer malaysischen Passagiermaschine mit 300 Toten. Moskau hat sich sein schlechtes „Image“ durchaus selbst zuzuschreiben, wie wohl auch die USA Angriffskriege (Irak) geführt haben. Zwar ist ein dritter Weltkrieg angesichts der vorhandenen Atomwaffen auszuschließen, und auch eine militärische Eskalation über den Krieg in der Ostukraine hinaus derzeit unwahrscheinlich, weil die Kosten-Nutzenrechnung für beide Parteien dagegen spricht.
Doch so gespannt wie jetzt waren die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland viele Jahrzehnte nicht. Das Gebot der Stunde sind daher weder Propaganda noch Säbelrasseln, sondern eine „Realpolitik“ in Sinne Bismarcks, die versucht, einen Interessensausgleich zwischen allen Beteiligten zu erreichen. Dazu zählt auch das Recht der Ukraine auf territoriale Integrität, wobei Kiew klargemacht werden und klar werden sollte, dass es als fortgesetzter Schauplatz geopolitischer Auseinandersetzungen nur verlieren kann. Washington, Moskau, Brüssel und Kiew sollten beherzigen, was Otto von Bismarck vor mehr als 150 Jahren in einer Rede im preußischen Landtag sagte:
"Es ist leicht für einen Staatsmann, sei es im Kabinette, sei es in der Kammer, mit dem populären Winde in die Kriegstrompete zu stoßen und sich dabei an seinem Kaminfeuer zu wärmen oder von dieser Tribüne donnernde Reden zu halten und es dem Musketier, der auf dem Schnee verblutet, zu überlassen, ob sein System Sieg und Ruhm erwirbt oder nicht. Es ist nichts leichter als das, aber wehe dem Staatsmann, der sich in dieser Zeit nicht nach einem Grunde zu Kriegen umsieht, der auch nach dem Kriege noch stichhaltig ist."
Von unserem Korrespondenten Christian Wehrschütz