Christian Lindner ließ keinen Zweifel. „Deutschland wird weiter Anwalt solider Finanzen bleiben“, sagte er bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags. Noch wird über Personalien in der neuen Regierung nur spekuliert, aber der FDP-Chef gilt gesetzt als neuer Bundesfinanzminister. Insofern kann Österreich beruhigt sein.

Die schwarze Null wird innenpolitisch zwar ein bisschen blasser, aber auch die neue Regierung steht mit Blick auf solide Haushaltspolitik finanzpolitisch auf EU-Ebene ganz an Österreichs Seite. Schon Olaf Scholz hatte im Wahlkampf stets betont, der Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU, der die Mitgliedstaaten einer strikten Haushaltspolitik unterwirft, habe in der Coronakrise „Flexibilität“ bewiesen. Ganz so steht es auch im neuen Koalitionsvertrag. Keine Lockerungen – so sieht es auch Österreich.

Noch ein Punkt wird in Wien Gefallen finden: Der Corona-Aufbaufonds „NextGenerationEU“, zum Großteil über Kredite finanziert, sei ein „zeitlich und in der Höhe begrenztes Instrument“, heißt es im Koalitionsvertrag. Kein Einstieg in die dauerhafte Schuldenunion also. Nach Jahren des biederen Verwaltens unter Heiko Maas (SPD) und dem blassen Frank-Walter Steinmeier (SPD) auch notwendig. Die Ampel aus SPD, Grünen und FDP darf sich auf extrem viel europapolitischen Sachverstand verlassen. Im Verhandlerteam saßen unter anderem Europaabgeordnete wie der Grünen-Finanzexperte Sven Giegold und die SPD-Parlamentarierin Katarina Barley.



Anders als Türkis-Grün in Österreich setzte die Ampel aus SPD, Grünen und FDP aber nicht auf das Wiener Modell: Eigenständigkeit innerhalb eigener Ressorts. Von „positivem Überwinden der Gegensätze“ sprach Grünen-Co-Chef Robert Habeck. Und: „Wir muten den Menschen viel zu. Da müssen wir auch uns etwas zumuten.“

Der Grünen-Politiker wird als Vizekanzler und neuer Superminister für Wirtschaft und Klima gehandelt. Auch in der Wirtschaftspolitik bewegt sich Berlin auf Wien zu. „Wir unterstützen die Neuausrichtung der EU-Handelsstrategie und wollen die künftigen EU-Handelsabkommen (etwa mit Chile, Neuseeland, Australien oder Indien)“, heißt es im Koalitionsvertrag. Eine kleine Revolution: Die Ampel rückt von der alten deutschen Handelsstrategie ab und setzt verstärkt auf Klima-, Umwelt- und Menschenrechtsstandards. Österreich hat das schon lange propagiert – etwa in seiner Kritik am Freihandelsabkommen Mercosur mit Südamerika.

In noch einem Punkt darf Wien künftig auf Berlin bauen: Agrar. Zwar hat die EU gerade ihre neue Agrarreform besiegelt. Die Ampel setzt aber auf den Ausbau der Biolandwirtschaft (30 Prozent Ökolandbau bis 2030) und eine Stärkung familiärer Agrarbetriebe. Österreich darf auf EU-Ebene also durchaus auf Unterstützung hoffen.

Überraschendes findet sich auch in der Zuwanderungspolitik: Deutschland setzt zwar auf eine Koalition der Willigen, etwa bei der freiwilligen Verteilung von Migranten. Dennoch steht im Kapitel über Migration: „Nicht jeder Mensch, der zu uns kommt, kann bleiben. Wir starten eine Rückführungsoffensive“, heißt es im Regierungspapier und: „Wir werden irreguläre Migration reduzieren und reguläre Migration ermöglichen.“ Österreichs Türkis-Grün hätte es vermutlich nicht viel anders formuliert. Deutschland wagt ein bisschen mehr Realismus und weniger Idealismus.