US-Präsident Joe Biden hat bei seinem ersten Online-Gipfel mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping vor einer Konfrontation zwischen den beiden weltgrößten Volkswirtschaften gewarnt. Es liege in beider Verantwortung, "dafür zu sorgen, dass der Wettbewerb zwischen unseren Ländern nicht in einen Konflikt ausartet, ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt", sagte Biden am Montagabend (US-Ortszeit) zu Beginn des mit Spannung erwarteten Gesprächs, das dreieinhalb Stunden dauerte.
Kommunikationswege müssten offen bleiben. Biden betonte zugleich, "dass sich alle Länder an dieselben Spielregeln halten müssen". Die USA würden immer für ihre Interessen und Werte sowie die ihrer Verbündeten und Partner eintreten. Der US-Präsident sprach sich für "Leitschienen des gesunden Menschenverstandes" aus. Beide Seiten müssten ehrlich sagen, "wo wir uns nicht einig sind, und zusammenarbeiten, wo sich unsere Interessen überschneiden, insbesondere bei wichtigen globalen Fragen wie dem Klimawandel". Es gehe für beide Länder darum, verantwortungsvolle Führungsrollen in der Welt einzunehmen.
Am Ende des rund dreieinhalbstündigen Gesprächs gab es positive Töne aus Peking. Das Treffen sei "weitreichend, tiefgehend, freimütig, konstruktiv, substanziell und produktiv" gewesen, kommentierte Außenamtssprecherin Hua Chunying in einer ersten kurzen Reaktion über Twitter. "Es hilft, das gegenseitige Verständnis zu erweitern."
Es war die erste persönliche, wenn auch nur virtuelle Begegnung der beiden Präsidenten seit Bidens Amtsantritt im Jänner. Zuvor hatten beide nur zweimal telefoniert. Zum Auftakt am Dienstagmorgen Pekinger Ortszeit sagte Xi, China und die USA sollten sich gegenseitig respektieren, friedlich koexistieren und kooperieren, wie ihn Staatsmedien zitierten. Auch sollten beide Länder ihrer internationalen Verantwortung gerecht werden.
Zudem äußerte Xi die Bereitschaft, mit Biden "einen Konsens zu bilden und aktive Schritte zu unternehmen, um die Beziehungen zwischen China und den USA in eine positive Richtung zu bewegen", wie ihn die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua zitierte. Gute Beziehungen seien wichtig, um die Entwicklung in beiden Ländern voranzutreiben, ein friedliches und stabiles internationales Umfeld zu sichern und wirksame Antworten auf globale Herausforderungen wie den Klimawandel oder die Corona-Pandemie zu finden. Als größte Volkswirtschaften und ständige Mitglieder im Weltsicherheitsrat sollten die USA und China ihrer internationalen Verantwortung gerecht werden, sagte Xi demnach.
Zugleich warnte auch Xi Biden vor einer Konfrontation. Beide Seiten müssten konstruktiv mit ihren Differenzen umgehen, "um zu verhindern, dass die chinesisch-amerikanischen Beziehungen vom Kurs abkommen und außer Kontrolle geraten". Es sei normal, dass beide Länder Meinungsverschiedenheiten hätten. Entscheidend sei aber, diese konstruktiv in den Griff zu bekommen und eine Verschärfung zu verhindern. "Natürlich muss China seine eigene Souveränität, Sicherheit und Entwicklungsinteressen schützen", betonte Xi. Die USA sollten vorsichtig damit umgehen. Chinas Präsident verglich beide Mächte mit zwei Ozeanriesen: "Wir müssen das Ruder stabilisieren, damit sich die beiden gigantischen Schiffe China und USA gegen Wind und Wellen vorwärtsbewegen, ohne vom Kurs abzukommen, zu stocken oder zu kollidieren."
Biden sprach bei dem Online-Gipfel auch die Menschenrechtslage in der Volksrepublik an. Biden habe sich besorgt über Chinas Umgang mit der Minderheit der Uiguren in Xinjiang, die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong, das Vorgehen in Tibet sowie über die Menschenrechte in China im Allgemeinen geäußert, teilte das Weiße Haus mit. Der US-Präsident habe auch deutlich gemacht, "dass die amerikanischen Arbeitnehmer und Industrien vor den unfairen Handels-und Wirtschaftspraktiken der Volksrepublik China geschützt werden müssen".
Biden unterstrich demnach außerdem, dass sich die USA weiter ihrer Ein-China-Politik verpflichtet fühlen, wonach Peking als der legitime Vertreter Chinas angesehen wird. Er bekräftigte aber, dass die USA entschieden "einseitige Bemühungen" ablehnten, den Status quo Taiwans zu ändern oder den Frieden und die Stabilität in der Seestraße von Taiwan zu untergraben. Damit bezog sich Biden auf die Drohungen der kommunistischen Führung mit einer Eroberung Taiwans zur "Wiedervereinigung". Peking betrachtet Taiwan als Teil der Volksrepublik, während sich die 23 Millionen Einwohner zählende Inselrepublik als unabhängig ansieht. Biden hob nach Angaben des Weißen Hauses auch hervor, dass sich die USA unverändert an das Taiwan-Gesetz von 1979 (Taiwan Relations Act) gebunden fühlen, mit dem sich die USA der Verteidigungsfähigkeit der Insel verpflichtet haben. Unter Hinweis auf dieses US-Gesetz liefern die USA Waffen an Taiwan.
Xi wiederum warnte vor resoluten Maßnahmen im Falle einer "Abspaltung" Taiwans. Die chinesische Führung sei "geduldig" und bemühe sich aufrichtig um eine "friedliche Wiedervereinigung". "Aber wenn die Unabhängigkeitskräfte in Taiwan provozieren und die Rote Linie durchbrechen, müssen wir energische Maßnahmen ergreifen", zitierten ihn chinesische Staatsmedien. Die jüngsten Spannungen führte Xi Jinping darauf zurück, dass die taiwanesische Regierung sich für ihr Unabhängigkeitsstreben auf die USA stütze oder das "einige Leute in den USA" vorhätten, Taiwan zu benutzen, um China zu kontrollieren. Dieser Trend sei sehr gefährlich. "Es ist ein Spiel mit dem Feuer. Wer mit dem Feuer spielt, verbrennt sich selbst." Der wahre Status quo Taiwans und der Kern der Ein-China-Politik sei, dass Taiwan zu China gehöre und dass es nur ein China in der Welt gebe.
Xi bezeichnete Biden nichtsdestotrotz laut Staatsfernsehen als "einen alten Freund". Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, hatte kurz vor der Videokonferenz auf Nachfrage noch gesagt, dass Biden Xi nicht als "alten Freund" betrachte. Der Demokrat kennt Xi noch aus seiner Zeit als US-Vizepräsident unter Barack Obama. Im vergangenen Monat sagte Biden dem Sender CNN, er habe in seiner Politikerkarriere mehr Zeit mit Xi verbracht als jeder andere Staats- oder Regierungschef.
Das Gespräch erfolgte vor dem Hintergrund wachsender Spannungen zwischen den beiden größten Volkswirtschaften. Das Verhältnis der zwei Großmächte ist so belastet wie noch nie seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen im Jahr 1979. Beide sehen sich als Konkurrenten.
Eine Auswahl an Streitpunkten:
- Taiwan: Biden sprach jüngst von einer "Verpflichtung" der USA, die demokratische Inselrepublik im Falle eines chinesischen Angriffs zu verteidigen. Peking betrachtet Taiwan als Teil der Volksrepublik und droht mit einer Eroberung zur "Wiedervereinigung". Die USA lehnen auch Chinas Territorialansprüche im Südchinesischen Meer ab.
- Menschenrechte: Die USA sind besorgt über die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong und kritisieren die Verfolgung der ethnischen Minderheit der Uiguren in Xinjiang. Biden betonte in einer Rede vor dem US-Kongress im April mit Blick auf China: "Kein verantwortungsvoller amerikanischer Präsident kann schweigen, wenn grundlegende Menschenrechte verletzt werden."
- Handelskonflikt: Seit der Zeit von Bidens Vorgänger Donald Trump liefern sich die beiden führenden Wirtschaftsmächte einen Handelskrieg mit gegenseitigen Strafzöllen. Bidens Regierung wirft China "unfaires wirtschaftliches Verhalten" etwa durch staatliche Subventionen vor.
- Coronavirus: Trump handelte sich Rassismus-Vorwürfe ein, weil er das Virus in Anspielung auf seinen Ursprung in China "Kung Flu" nannte - "flu" heißt auf Englisch Grippe. Biden ist diplomatischer, sorgte aber trotzdem für Ärger mit Peking: So beauftragte er die US-Geheimdienste mit einer Prüfung, ob das Virus womöglich aus einem chinesischen Labor stammt. Die Untersuchung ergab kein endgültiges Ergebnis.
- Klima: Biden hatte das Fernbleiben Xis beim Klimagipfel in Glasgow vor wenigen Tagen als "großen Fehler" kritisiert. Überraschend kündigten die USA und China als weltgrößte Verursacher von fossilen CO2-Emissionen dann aber an, ihre Zusammenarbeit beim Kampf gegen den Klimawandel auszubauen. "Die USA und China haben keinen Mangel an Differenzen", sagte der US-Klimaschutzbeauftragte John Kerry. "Aber beim Klima ist das der einzige Weg, diese Aufgabe zu bewältigen."