Wilde Stürme, teils in Tornado-Stärke, hatten das britische Bahnsystem lahmgelegt. Umgestürzte Bäume und eingebrochene Leitungen versperrten gestern Konferenz-Teilnehmern und Demonstranten den Weg zur COP26, der Weltklimakonferenz. „Wie bezeichnend“ diese Situation sei, könne „niemandem verborgen bleiben“, seufzte die Mitbegründerin der Umweltgruppe 350.org Ellen Gibson.
Verglichen aber mit dem, was auf die südliche Hälfte der Erde zukomme, seien die aktuellen Reisebehinderungen in England und Schottland jedoch die reinste Bagatelle. Das sahen auch die angereisten Vertreter der ärmsten und der vom Klimawandel am meisten bedrohten Länder der Erde so, die von den Ergebnissen des vorangegangenen G20-Gipfels in Rom enttäuscht waren und sich „äußerst besorgt“ zeigten.
Gaston Browne etwa, der Premierminister von Antigua und Barbuda, der das Bündnis der kleinen Inselstaaten anführt, erklärte zum Auftakt des Treffens, er gehe davon aus, dass die Welt den in Aussicht genommenen Zielwert eines Temperaturanstiegs um höchstens 1,5 Grad Celsius unweigerlich überschreiten werde. „Das aber“, meinte er, „ist für uns eine Frage des Überlebens.“
Düstere Szenarien für die Zukunft des Planeten hatten auch die Klimaexperten der Vereinten Nationen vor der Konferenz gezeichnet. Gegenwärtig habe man schon einen Anstieg um 1,1 Grad Celsius erreicht. Wenn nichts geschehe, sei man schnell bei 2,7 Grad angelangt. Und was das bedeute, sei inzwischen hinlänglich bekannt – bedrohlich wachsende Wasserstände, versinkende Inseln und Küstenstriche, ausgetrocknete Böden, Hitzewellen, Feuersbrünste. Großbritanniens Premier Boris Johnson, der die auf zwei Wochen angelegte Konferenz als Gastgeber mit einem zweitägigen Gipfel der Staats- und Regierungschefs eröffnete, schlug ähnliche Töne an. Es sei „eine Minute vor Mitternacht – jetzt muss gehandelt werden“, warnte er. Wer je einen „James Bond“-Film gesehen habe, kenne dieses „Doomsday“-Gefühl, die Weltuntergangsangst, bei der man die Uhr gnadenlos ticken höre. Beim Klimawandel aber gehe es nicht um einen Film, sondern um bittere Realität.
Kaum irgendwo hat sich wohl je eine so illustre Runde eingefunden, um unter solchem Druck zu Resultaten zu kommen, wie bei diesem Gipfel. Aus Washington war via Rom US-Präsident Joe Biden, aus New York UN-Generalsekretär António Guterres angereist. Guterres nahm in Glasgow kein Blatt vor den Mund. Er erklärte, wer im Gefühl lebe, es gehe zügig voran im Kampf gegen den Klimawandel, sitze schlicht einer „Illusion“ auf. Stattdessen nähere man sich dem „Kipp-Punkt“. Zum sichtlichen Unbehagen vieler COP26-Teilnehmer schlug er vor, dass Bestandsaufnahmen der Lage nicht mehr alle fünf Jahre stattfinden sollten wie in Paris vereinbart, sondern jedes Jahr.
Biden warnte: „Mit jedem Tag, den wir warten, steigen die Kosten der Untätigkeit.“ Nicht vertreten sind in Glasgow die Präsidenten Chinas und Russlands, Xi Jinping und Wladimir Putin, die unter Verweis auf Covid-19 abgesagt hatten. Skepsis mischte sich auch in die Hoffnung der vielen Tausend Demonstranten und Klima-Aktivisten, die nach Glasgow gezogen sind, um dort Druck zu machen.
Die Umweltorganisation Greenpeace, die diese Woche mit ihrem Flaggschiff „Rainbow Warrior“ den River Clyde zum Konferenzzentrum hinaufsegeln will, warf den Regierenden vor, es fehle ihnen schlicht „an Ehrgeiz und an Vision“. Bürgerrechtsverbände, Umweltgruppen, Delegationen eingeborener Völker aus aller Welt kamen nach Glasgow. Manche, denen das Thema besonders unter den Nägeln brennt, sind in einer „Pilger-Prozession“ zu Fuß aus Europa nach Schottland marschiert.