Das Doppelspiel zwischen Ungarn und Polen, in der Vergangenheit immer wieder praktiziert, läuft auch beim EU-Herbstgipfel wie geschmiert. Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki wiederholte in Brüssel seinen Standpunkt, wonach Teile des EU-Rechts nicht mit Polens Verfassung vereinbar sind, und bekam prompt Schützenhilfe von Ungarns Regierungschef Viktor Orban. Der sprach von „Hexenjagd“ und schleichender Kompetenzerweiterung für Brüssel – und er gratulierte Polen „für den Mut, die Schlacht zu eröffnen“.

Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki
Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki © AFP

Das sehen die übrigen Mitgliedsländer anders, jedoch in so unterschiedlichen Schattierungen, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zwischen zwei Lager gerät. Einerseits verlangen Länder wie Belgien oder die Niederlande die Umsetzung der schon angekündigten Sanktionen, ebenso der erkrankte EU-Parlamentspräsident David Sassoli, der diese Woche erst eine Untätigkeitsklage gegen die Kommission freigegeben hat und von einer mit großer Mehrheit verabschiedeten Resolution unterstützt wird, andererseits rufen Länder auch zur Deeskalation und zum Dialog auf. Dazu gehört die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, für die es der letzte Gipfel ist, und der neue österreichische Kanzler Alexander Schallenberg, der zum ersten Mal in dieser Funktion dabei ist.

Schallenbergs Außenminister-Ausrutscher

Schallenberg sorgte vor Beginn des Gipfels für einen Schmunzler, als er sich versehentlich selbst als „Außenminister“ bezeichnete. Was Polen angeht, blieb er bei seiner ablehnenden Haltung und attestierte seinem polnischen Amtskollegen eine „kognitive Dissonanz“, sprach sich aber auch für eine Diskussion auf Augenhöhe aus: „Es kommt auf die Tonalität an“, es gehe schließlich um Lösungen.

Für Angela Merkel ist es der letzte Gipfel (mit Ursula von der Leyen),...
Für Angela Merkel ist es der letzte Gipfel (mit Ursula von der Leyen),... © AFP
... für Alexander Schallenberg der erste als Kanzler
... für Alexander Schallenberg der erste als Kanzler © AFP



Das Abendessen („Pistou“-Gemüsesuppe, Wolfsbarsch, Himbeerkuchen) begann erst mit viel Verzögerung, das lag nicht nur an der Debatte über die Pandemie und die zum Teil besorgniserregende Impfsituation, sondern an einer heftigen Diskussion über die Reaktion auf die hohen Energiepreise. Deutschland und andere plädieren für marktwirtschaftliche Lösungen, Länder wie Spanien hingegen sprechen sich für eine Strommarktreform aus und treten auch dafür ein, dass die EU einen gemeinsamen Gaseinkauf organisiert. Österreich will einen eher moderaten Ansatz, Kanzler Schallenberg meinte, die EU-Staaten sollten einen „kühlen Kopf“ bewahren und „nicht vorschnell in die Energiemärkte eingreifen“. Österreich stehe relativ gut da, „die Lager sind gefüllt“.

Großer Streitpunkt war letzten Endes der Vorstoß einer Ländergruppe um Frankreich, die die Atomenergie als saubere bzw. „grüne“ Energie definiert wissen will und die europäischen Klimaziele („FitFor55“) damit verknüpft – inklusive Berücksichtigung in der Taxonomie-Verordnung. Österreich ist hier ebenso wie Luxemburg strikt auf Gegenkurs. Bis spät in den Abend hinein war eine Einigung auf einen gemeinsamen Gipfeltext zur Energiefrage nicht möglich.