Das US-Verteidigungsministerium hat Berichte, wonach die Taliban den Flughafen Kabul unter ihre Kontrolle haben sollen, als "falsch" zurückgewiesen. Der Flughafen stehe weiter gänzlich unter der Kontrolle des US-Militärs, sagte der Sprecher des Pentagons, John Kirby, am Freitag. "Sie kontrollieren keines der Tore, sie kontrollieren nicht den Betrieb des Flughafens - das ist weiter unter der Kontrolle des US-Militärs", sagte Kirby.
Zuvor hatten Berichte und Beiträge in sozialen Medien nahegelegt, die Taliban hätten an dem Flughafen inzwischen das Sagen oder stünden kurz davor. Ein Sprecher der Taliban hatte erklärt, die Radikalislamisten hätten die Kontrolle über Teile des Flughafens übernommen. Am Freitag habe das US-Militär "drei wichtige Bereiche" im militärischen Teil des Flughafens verlassen, erklärte der Taliban-Sprecher Bilal Karimi auf Twitter. Diese Bereiche seien nun "unter der Kontrolle des Islamischen Emirats" und nur noch "ein sehr kleiner Teil" des Airports werde von US-Soldaten kontrolliert.
Das US-Militär hat am Flughafen der afghanischen Hauptstadt für den laufenden Evakuierungseinsatz aktuell noch rund 5000 Soldaten stationiert. Sie sollen bis Dienstag abziehen.
Die Taliban kontrollieren seit Mitte August Kabul - und damit auch das Gebiet rund um den Flughafen. An den Toren und im Inneren des Geländes haben allerdings US-Soldaten und deren Verbündete das Sagen.
Evakuierungsflüge gestopppt
Einen Tag nach dem verheerenden Anschlag der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) am Flughafen Kabul mit Dutzenden Toten haben einige Staaten am Freitag ihre letzten Evakuierungsflüge durchgeführt. Zugleich hat die US-Regierung hat ihre Entschlossenheit betont, die Drahtzieher töten zu lassen. "Er hat klar gemacht, dass er nicht will, dass sie noch auf der Erde leben", sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, am Freitag in Washington mit Blick auf die jüngste Drohung von US-Präsident Joe Bidengegen die Terroristen. Psaki reagierte auf die Frage, ob Biden die Urheber der Attacke töten lassen oder vor Gericht stellen wolle.
Außerhalb des Flughafens in der afghanischen Hauptstadt Kabul hatte sich am Donnerstag nach US-Angaben ein Selbstmordattentäter der Terrormiliz Isis-K in die Luft gesprengt und zahlreiche Menschen mit in den Tod gerissen, darunter 13 US-Soldaten. Laut "New York Times" kamen bei dem Anschlag am Donnerstag insgesamt 183 Menschen ums Leben. Offizielle Zahlen sprachen von mindestens 92 Toten. Den Angaben zufolge handelt es sich bei einem Teil der Toten um US-Bürger mit afghanischen Wurzeln.
Biden hatte den Terroristen wenige Stunden nach der Attacke mit Vergeltung gedroht und gesagt: "Wir werden euch jagen und euch dafür bezahlen lassen." Psaki sagte, die Regierung werde sich nicht zu Details äußern, wie genau man gegen die Urheber des Anschlags vorgehen werde. Sie betonte aber, dieses Bekenntnis dazu bleibe bestehen, "bis es erledigt ist". Der Präsident und das Militär hätten keinen Zweifel, dass sie jede Befugnis hätten, Isis-K anzugreifen.
Bei dem verheerenden Terrorangriff am Flughafen in Kabul hat sich nach Erkenntnissen des US-Verteidigungsministeriums ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt - nicht zwei. US-Generalmajor William Taylor sagte am Freitag im Pentagon, man sei nicht sicher, wie es am Vortag zu der falschen Angabe von zwei Selbstmordattentätern habe kommen können.
Bei dem Terroranschlag sind offiziellen Angaben zufolge auch britische Staatsbürger ums Leben gekommen. Zwei britische Erwachsene und ein Kind eines britischen Staatsbürgers seien unter den Getöteten gewesen, teilte Außenminister Dominic Raab am Freitag mit. "Dies waren unschuldige Menschen und es ist eine Tragödie, da sie versucht haben, ihre Angehörigen nach Großbritannien in Sicherheit zu bringen und dabei von feigen Terroristen getötet wurden", so der konservative Politiker.
Nur ein Attentäter
"Wir hielten es für wichtig, die Angaben hier zu korrigieren", so Taylor. Das Verteidigungsministerium hatte am Donnerstag nach dem Terrorangriff von zwei Selbstmordattentätern der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gesprochen. "Ich kann Ihnen bestätigen, dass wir nicht glauben, dass es eine zweite Explosion im oder in der Nähe des Baron Hotels gegeben hat und dass es sich um einen Selbstmordattentäter handelte", sagte Taylor gegenüber Reportern.
Die Zahl der bei dem Anschlag am Flughafen Kabul ums Leben gekommenen Menschen ist größer als bisher angenommen. Afghanische Gesundheitsbehörden sprachen jetzt von 79 getöteten Einheimischen, nachdem zuletzt von 72 Toten die Rede war. Da zudem 13 US-Soldaten starben, stieg die Gesamtzahl der Opfer nun auf mindestens 92. Die New York Times berichtet von 170 Todesopfern und beruft sich auf lokale Behörden.
Der in Afghanistan aktive Ableger der Terrormiliz IS reklamierte den Anschlag für sich. Biden erklärte mit Blick auf die Gruppe, die USA hätten Informationen dazu, wo sich die Drahtzieher der Anschläge aufhalten - und würden auch ohne große Militäreinsätze Möglichkeiten finden, diese zur Rechenschaft zu ziehen, "wo auch immer sie sind". Seine eindringlichen Worte an die Terroristen: "Wir werden nicht vergeben. Wir werden nicht vergessen."
Eine der Detonationen hatte sich nach US-Angaben an einem Tor zum Flughafengelände ereignet, an dem US-Soldaten im Einsatz waren. Eine Reihe von IS-Kämpfern habe dann das Feuer auf Zivilisten und Soldaten eröffnet, sagte US-General Kenneth McKenzie. Er warnte vor weiteren Anschlägen. Auch Großbritannien geht von einer wachsenden Gefahr neuer Attentate aus. Russland fürchtet ein Übergreifen der Gewalt auf die Nachbarländer Afghanistans.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verurteilte den Anschlag "aufs Schärfste" - ebenso Russland, China und das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte. Angesichts der Lage in Afghanistan kündigte das von Russland angeführte Militärbündnis CSTO Manöver mit Tausenden Soldaten in den kommenden zwei Monaten in Kirgistan und Tadschikistan an.
Mission geht weiter
Der Evakuierungseinsatz der gut 5.000 US-Soldaten in Kabul soll trotz der jüngsten Ereignisse wie geplant am Dienstag kommender Woche enden, wie Biden betonte. Die Terroristen könnten die USA nicht dazu bringen, ihre "Mission" zu stoppen, so der US-Präsident mit Blick auf die im Land verbliebenen Amerikaner. "Wir werden sie finden, und wir werden sie da rausholen."
Briten beenden Einsatz
Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace kündigte am Freitag in der Früh an, die Evakuierungsflüge für britische und afghanische Staatsbürger würden "in wenigen Stunden" beendet. Frankreich plante ursprünglich die Rettungsmission am Freitagabend einzustellen, allerdings erklärte ein Regierungsvertreter am Freitag, der Einsatz könne "vielleicht noch nach heute Abend" weitergehen. Spanien und Schweden beendeten am Freitag ihre Evakuierungsflüge. Auch Russland plant vorerst keine weiteren Rettungsflüge. Insgesamt sind nach Zählung der US-Regierung seit dem 14. August 105.000 Menschen aus Afghanistan evakuiert worden.
Angesichts der Terrorgefahr und der zu Ende gehenden Evakuierungsflüge wird auch eine Evakuierung der Österreicher aus Afghanistan immer schwieriger.Mehr als hundert Menschen sind nach Angaben des Außenministeriums vom Freitag bisher mit österreichischer Unterstützung aus Afghanistan außer Landes in Sicherheit gebracht worden. Zum Teil sei dies auch über den Landweg erfolgt, hieß es am Freitag gegenüber der APA. Derzeit seien "noch einige Dutzend" österreichische Staatsbürger mit afghanischen Wurzeln in und um Kabul.
Dazu kämen noch afghanische Staatsbürger, deren Aufenthalt in Österreich aber teilweise noch nicht abgeklärt sei. Man werde weiterhin alle Möglichkeiten ausschöpfen, diese Personen aus Afghanistan zu bringen. Die zivilen Evakuierungsflüge seien aber beendet, teilte das Außenministerium mit. Daher konzentrierten sich die laufenden Bemühungen auf eine Ausreise über den Landweg. Die österreichischen Stellen bemühten sich, einen Grenzübertritt in die Nachbarländer zu ermöglichen. Derzeit seien die Grenzen geschlossen. Österreich verfügt über keine eigenen Evakuierungsflüge.
Medizinisches Material fehlt
Das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) erklärte, man werde nach wie vor mit mehreren hundert Mitarbeitern im Land bleiben. Die Menschen in Afghanistan seien jetzt auf Hilfe angewiesen, sagte der Sprecher von UNHCR Deutschland, Chris Melzer, im Bayerischen Rundfunk.
Die Kinderhilfsorganisation UNICEF forderte einen besseren Schutz für Kinder. Seit Beginn dieses Jahres wurden nach UNO-Angaben mehr als 550 Kinder in Afghanistan getötet und mehr als 1.400 verletzt. Fast zehn Millionen Kinder sind demnach auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Medizinisches Material zur Versorgung der Bevölkerung wird unterdessen knapp. Vorräte reichten nur noch wenige Tage, sagte Rick Brennan, WHO-Nothilfekoordinator für die Region in Genf. Grund sei, dass geplante Versorgungsflüge wegen der angespannten Sicherheitslage nicht stattfinden konnten.
Die Taliban hatten Mitte August die Macht in Afghanistan an sich gerissen. Die meisten Einheiten der afghanischen Sicherheitskräfte ergaben sich kampflos, Präsident Ashraf Ghani floh außer Landes.