Nach der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan werden schwere Menschenrechtsverletzungen aus dem Land gemeldet. Die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, berichtete in einer UNO-Sondersitzung am Dienstag etwa von Massenhinrichtungen von Zivilisten. Indes begannen die Taliban damit, eine neue Regierung zusammenzustellen und erste Minister zu bestimmen. Am Nachmittag beraten die G7-Staaten zu Afghanistan.

Der Bewegungsspielraum von Frauen sei in manchen Regionen eingeschränkt worden, Mädchen dürften teils nicht mehr zur Schule gehen, berichtete Bachelet. Friedliche Proteste würden unterdrückt und Minderjährige zum Waffendienst geholt. Die Berichte seien glaubhaft, betonte sie.

Frauen und Mädchen in höchster Gefahr

"Es bestehen gravierende Risiken für Frauen, Journalisten und die neue Generation von Leitfiguren der Zivilgesellschaft, die in den vergangenen Jahren in Erscheinung traten", sagte Bachelet. "Afghanistans unterschiedliche ethnische und religiöse Minderheiten sind ebenfalls der Gefahr von Gewalt und Unterdrückung ausgesetzt, bedenkt man die Muster schwerer Menschenrechtsverletzungen unter Taliban-Herrschaft in der Vergangenheit und Berichte über Tötungen und gezielte Anschläge in den vergangenen Monaten."

Unterdessen begann die Taliban damit, eine neue Regierung zusammenzustellen. Laut einem Medienbericht ernannten sie erste Minister. Die afghanische Nachrichtenagentur Pajhwok meldete am Dienstag, unter anderem seien ein Finanz- und ein Innenminister bestimmt worden. Eine Anerkennung einer Taliban-Regierung durch andere Länder hätte schwerwiegende Konsequenzen. So erhielten die Extremisten Zugang zu ausländischen Hilfen, von denen frühere Regierungen des verarmten Landes abhängig waren.

Dem Agenturbericht zufolge wurde Gul Agha zum Finanzminister ernannt. Neuer amtierender Innenminister sei Sadr Ibrahim. Neuer Gouverneur der Provinz Kabul sei Mullah Schirin, Bürgermeister der gleichnamigen Hauptstadt sei Hamdullah Nomani. Auch der Geheimdienst habe eine neue Spitze erhalten. Weitere Details wurden zunächst nicht bekannt. Ein Sprecher der Taliban war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

CIA-Chef William Burns soll sich einem Zeitungsbericht zufolge mit dem Anführer der Taliban, Abdul Ghani Baradar, zu einem Gespräch getroffen haben. Der Direktor des US-Auslandsgeheimdienstes und Baradar seien sich am Montag in der afghanischen Hauptstadt Kabul begegnet, berichtet die "Washington Post". Das Blatt beruft sich auf nicht näher bezeichnete US-Beamte, die sich nur anonym äußern wollten.

Indes veröffentlichten die sieben großen Industriestaaten (G7) eine gemeinsame Erklärung, in der mehr Flexibilität beim Evakuierungseinsatz in Afghanistan gefordert wird. Die G7 sollten demnach "willkürliche Daten zum Ende der militärischen Unterstützung der Evakuierungsmission und künstliche Deckelungen bei der Zahl der Evakuierten vermeiden". Andernfalls werde der Druck auf die Schutzsuchenden und ihre Helfer erhöht.

G7 wollen über Lage beraten

Die Staats- und Regierungschefs der G7 wollen am Dienstagnachmittag in einer Video-Konferenz über die Lage in Afghanistan beraten. Großbritanniens Premierminister Boris Johnson will sich für eine Verlängerung des Evakuierungseinsatzes über den 31. August hinaus stark machen. Die militant-islamistischen Taliban lehnen eine Präsenz ausländischer Truppen darüber hinaus ab.

Zuvor hatten Großbritannien und Frankreich angekündigt, die Evakuierungsmission in Afghanistan nicht zu verlängern, falls die USA ihre Truppen wie geplant zum 31. August abziehen. Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace bezeichnete eine Verlängerung des Einsatzes als unwahrscheinlich. Aus dem Büro des französischen Außenministers Jean-Yves Le Drian hieß es, dass "unser Einsatz Donnerstagabend endet", wenn die USA an ihrem Abzugsplan festhielten.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will beim online stattfindenden G7-Gipfel über 200 Millionen Euro zusätzliche Hilfsgelder der EU für afghanische Staatsbürger verkünden. Das ist eine Vervierfachung der ursprünglichen Mittel und soll zusätzlich zu den Hilfszusagen der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt werden, teilte von der Leyen bereits am Vormittag via Twitter mit. Das Geld solle den Menschen innerhalb und außerhalb ihres Heimatlandes zugutekommen, erklärte die Kommissionspräsidentin.

Ein EU-Vertreter fügte hinzu, zur Bedingung für die Auszahlung werde die Achtung der Menschenrechte und insbesondere der Rechte von Frauen gemacht. Danach werde entschieden, ob das Geld direkt nach Afghanistan oder in benachbarte Regionen fließe.