In Afghanistan sind nach dem Anlaufen der Evakuierungen laut Sicherheitskreisen über 2.200 Diplomaten, Ausländer und Ortskräfte vom Militär ausgeflogen worden. "Wir machen zügig weiter", sagte ein Diplomat am Mittwoch Reuters. Jedoch mehren sich Zweifel, dass möglichst alle Ortskräfte aus dem Land gebracht werden können, die westlichen Ländern geholfen haben und mögliche Racheakte der Taliban fürchten. Gespräche gab es indes zwischen den Taliban und Ex-Präsident Hamid Karzai.
Die deutsche Bundeswehr plant für Mittwoch vier Flüge nach Kabul und zurück. In der Nacht auf Mittwoch landete die erste Lufthansa-Maschine mit Evakuierten aus Afghanistan in Frankfurt. An Bord befanden sich rund 130 Personen. Im Rahmen einer Luftbrücke und in Abstimmung mit der deutschen Bundesregierung sollen in den nächsten Tagen weitere Sonderflüge aus Taschkent, Doha oder anderen Anrainerstaaten zur Evakuierung der Menschen aus Afghanistan durchgeführt werden, teilte die Lufthansa mit. Die deutsche Regierung beschloss am Mittwoch einen bis September dauernden Einsatz von bis zu 600 Bundeswehrsoldaten für die Evakuierungsaktion in Kabul.
Probleme am Flughafen
Frankreich flog in der Nacht auf Mittwoch weitere 216 Menschen aus Afghanistans Hauptstadt Kabul aus. An Bord der zweiten französischen Maschine ins Golf-Emirat Abu Dhabi waren neben 184 Afghanen und 25 Franzosen auch Menschen aus den Niederlanden, Kenia und Irland, wie Außenminister Jean-Yves Le Drian in Paris mitteilte. Damit sei es gelungen, einen Großteil der Franzosen und Afghanen auszufliegen, die sich vor den militant-islamistischen Taliban ins französische Botschaftsgebäude geflüchtet hatten. Eine erste Gruppe von 41 Franzosen und anderen Staatsangehörigen war bereits am Dienstagnachmittag in Paris gelandet. Italien will ebenfalls eine Luftbrücke zur Evakuierung von Menschen aus Afghanistan einrichten.
Jedoch gab es erneut Probleme am Flughafen in Kabul. Chaos verhinderte das Ausfliegen niederländischer Ortskräfte. "Es ist schrecklich. Viele standen mit ihren Familien vor den Toren des Flughafens", sagte Außenministerin Sigrid Kaag. Ein mit anderen nordeuropäischen Ländern gemeinsam betriebenes Militärflugzeug habe Kabul deshalb nahezu leer wieder verlassen müssen.
Bei einer Massenpanik bei einem Tor zum Flughafen Kabul wurden nach Angaben eines NATO-Vertreters 17 Menschen verletzt. Der NATO-Vertreter, der nicht namentlich genannt werden wollte, erklärte, er habe keine Hinweise auf Übergriffe von Taliban-Kämpfern außerhalb des Flughafens.
Menschen harren am Flughafen aus
Hunderte Menschen harrten rund um den Flughafen in Kabul aus, berichteten Augenzeugen der dpa. Kinder, Frauen und Männer hielten sich in den Straßen um das Flughafengelände auf. Viele hätten dort auch übernachtet. Unklar war, ob es neben den Evakuierungsflügen am Mittwoch auch wieder kommerzielle Flüge gab oder geben sollte.
Afghanische Zivilsten seien aufgefordert worden nicht zum Flughafen zu kommen, es sei denn, sie hätten einen Reisepass und ein Visum. Am Mittwoch hieß es, das US-Militär entscheide abhängig von der jeweiligen Lage über Öffnung und Schließung bestimmter Zugänge zum Flughafen.
Gespräche gab es unterdessen zwischen den Taliban und Ex-Präsident Hamid Karzai. Auch das ranghohe Mitglied der bisherigen Regierung, Abdullah Abdullah, sei bei dem Treffen dabei gewesen, sagt ein Taliban-Vertreter, der namentlich nicht genannt werden wollte. Auf Taliban-Seite habe der Anführer der Haqqani-Gruppe, Anas Haqqani, teilgenommen. Details zu den Gesprächen nannte der Taliban-Vertreter nicht. Es sei noch zu früh zu sagen, ob die Taliban in ihre neue Regierung auch Mitglieder früherer Regierungen einbeziehen würden, erklärt er. Karzai war von 2001 bis 2014 afghanischer Präsident.
In Afghanistan hielt sich indes das Misstrauen gegenüber den neuen Machthabern- trotz der Versprechen der Taliban, auf Racheakte zu verzichten und Frauenrechte innerhalb islamischer Gesetze zu respektieren. Die Frauen-Aktivistin Pashtana Durrani sagte Reuters: "Sie müssen ihren Worten Taten folgen lassen. Im Moment tun sie das nicht."
Die Taliban bekräftigten erneut, sie seien bereit, Beziehungen zu ausländischen Staaten aufzubauen. Ihre Führer würden aus dem Schatten treten und sich der Welt zeigen, kündigte ein Sprecher an.
In den vergangenen Jahren hatten die Anführer im Verborgenen agiert. Bereits zuvor hatte Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid signalisiert, man wolle bei der Durchsetzung islamischer Prinzipien behutsamer vorgehen als in der ersten Herrschaftsperiode von 1996 bis 2001. "Wir wollen keine internen und keine auswärtigen Feinde", sagte er. Westliche Staaten, darunter die USA und Deutschland, wollen kommende Woche ihr Vorgehen bei einem Treffen der G7-Staaten abstimmen.