Das Porträt des afghanischen Mädchens mit den grünen Augen in einem pakistanischen Flüchtlingslager trifft mitten ins Herz. Es wurde Ausdruck der ganzen Tragödie eines bis heute so schwer gebeutelten Landes - auch für Sie persönlich?
Steve MCCURRY: Ja, Sharbat Gula, so heißt das Mädchen, wurde durch die Bombardierungen der Sowjets in Afghanistan zur Vollwaise. Ich habe sie in einem Flüchtlingscamp in Pakistan fotografiert. 1985 war das das Coverfoto des National Geographic. 17 Jahre später spürte ich die Frau wieder auf. Da war sie schon dreifache Mutter und hatte harte Zeiten hinter sich. Manchmal gibt es Augenblicke, die zwar im politischen Sinne nicht relevant sind, und trotzdem offenbaren sie etwas Wichtiges. Das Foto von dem nackten Mädchen im Vietnamkrieg, das aus einer Napalm-Wolke flieht, ist so ein Beispiel. Es ist in unserem Bewusstsein verankert.
Sie kennen Afghanistan sehr gut. Wie geht die Bevölkerung mit den ständigen Konflikten um?
Steve MCCURRY: Ich war in den letzten 40 Jahren mehr als 30 Mal in Afghanistan, das letzte Mal 2016. Die Zeichen verhießen bereits damals nichts Gutes. Wer konnte, ging weg. Menschen mit Geld und Möglichkeiten verließen das Land so schnell wie möglich. Ich reiste 1979, als die Sowjetunion militärisch in den innerafghanischen Konflikt eingriff, zum ersten Mal dorthin. Es ist ja ein durch und durch faszinierendes Land. Ich mag die Menschen sehr. Sie haben viel Sinn für Humor, sie sind unglaublich gastfreundlich, verspielt und sehr offen.
Warum kommt Afghanistan nicht zur Ruhe?
Steve MCCURRY: Afghanistan war immer ein umkämpftes Land. Alle haben immer mitgemischt und alle hatten ihre Interessen, ihre Vormachtstellung auszubauen. Da waren zuerst einmal die Briten, deren Rolle ist nicht zu unterschätzen. Dann die USA, China, Indien, Russland und auch der Nachbar Pakistan. Afghanistan ist lokal so etwas wie eine Schnittstelle, aber auch für die Großmächte von Interesse. Zu Afghanistans Nachbarn gehören China, Pakistan, der Iran - und alle haben ganz spezielle Eigeninteressen. Und Amerika hat schon in den 1980er-Jahren enorme Fehler gemacht. Die US-Regierung wollte, dass die Sowjetunion dafür zahlt, was sie in Afghanistan gemacht hat. Die Amerikaner haben der Opposition, den Mudschaheddin, Milliarden Dollars und Waffen gegeben.
Waren Sie immer allein unterwegs?
Steve MCCURRY: Nein, ich bin fast immer mit einer Gewährsperson unterwegs. Erstens brauche ich jemanden, der die Sprache spricht, zweitens brauche ich jemanden, der sich im Land auskennt. Schließlich ist es auch ein sehr gefährliches Land und man will nicht unbedingt an den falschen Orten landen und auf die falschen Leute treffen.
Warum sind Sie immer und immer wieder nach Afghanistan gereist? Ist es der Nervenkitzel?
Steve MCCURRY: Es gibt unendlich viele Gründe, um als Fotograf dort zu arbeiten. Das Land hat nicht nur eine dramatische Vergangenheit und Gegenwart, auch die Landschaft ist dramatisch schön. Meine Motivation war nie der Nervenkitzel. Ich wollte aber von Anfang an dokumentieren, was vorgeht in der Welt.
Das öffentliche bzw. veröffentlichte Bild von Afghanistan ist, dass das Land permanent in einem Ausnahmezustand steckt. Ihre Bilder zeigen auch ein unglaublich freundliches Afghanistan. Das Foto eines lachenden Buben mit einer Ziege auf den Schultern ist umwerfend positiv. Wie haben Sie Afghanistan erlebt?
Steve MCCURRY: Es gibt auch in Afghanistan Menschen, die lächeln und lachen (schmunzelt). Ich interessiere mich immer für die Geschichte des Menschen, den ich ablichte. Nicht jede Geschichte ist schrecklich, es gibt so viele Menschen dort, die sich ihre Lebensfreude erhalten haben. Deswegen ist die Situation in Afghanistan auch so besonders traurig. Denn die meisten dort wollen einfach wie überall in der Welt in Ruhe leben.
Die Taliban sind in Afghanistan wieder stärker denn je, sie haben die Macht übernommen. Was kommt jetzt auf die Afghanen zu?
Steve MCCURRY: Es ist so unglaublich schmerzvoll, dass das Leiden in diesem Land offenbar nicht aufhört. Wir wissen, woran die Taliban glauben. Wir wissen, welche Haltung sie gegenüber Frauen einnehmen. Es ist entsetzlich. Die Taliban sind stark. Sie kämpfen, um zu gewinnen.