Afghanische Medien und Fernsehsender arbeiten seit der Übernahme der Hauptstadt Kabul durch die militant-islamistischen Taliban nur noch sehr eingeschränkt. Reine Musik-Kanäle sind momentan in Kabul Bewohnern der Stadt zufolge nicht mehr zu empfangen. Auch Programme mit Frauen werden nur eingeschränkt gezeigt. Türkische Serien, die bereits vor der Taliban-Übernahme von konservativen Afghanen als nicht mit afghanischen Werten übereinstimmend kritisiert wurden, seien auch aus den Programmen genommen worden.
Die beliebten Fernsehkanäle ToloNews oder Ariana etwa senden nicht mehr live. Am Sonntag bereits zeigten sie praktisch nur Wiederholungen.
Der Leiter des ersten 24/7-Nachrichtensenders Afghanistans, ToloNews, nutzt aber Social-Media um Botschaften in die Welt zu senden. In der Hauptstadt Afghanistans Kabul wird bereits ein Brautmodengeschäft zugemacht und die Fassade übermalt,obwohl die Taliban zuletzt versprachen, dass Rechte von Frauen und Minderheiten sowie die Meinungsfreiheit respektiert werden würde.
Während die Taliban in das Gelände von ToloNews eindrangen und die Waffen einsammelten, die von der Regierung ausgegeben wurden, twittert die Redaktion ein Video, in dem man sieht wie Menschen von einem startenden Flugzeug in den Tod stürzen. Sie hatten sich vermutlich vor dem Start an das Flugzeug geklammert.
Ein Mann, der in der Nähe des Flughafens lebt, schrieb der Deutschen Presse-Agentur auf Facebook, auf einem benachbarten Dach sei eine dieser Personen gelandet. Es habe gekracht, als habe es eine Explosion gegeben, schrieb der Mann. Er teilte Bilder und Videos der Leiche und sagte noch drei weitere Männer seien in der Nachbarschaft gefunden worden.
Zu chaotischen Szenen kam es auch rund um eine Maschine des US-Militärs am Flughafen in Kabul.
"Die Taliban sind in die Stadt eingedrungen, und wir sind auf der Flucht. Jeder hat Angst," sagt die Frau im folgenden Video. Die iranische Journalistin, die das Video teilt, kommentiert: "Das ist kein Ausschnitt aus einem Gruselfilm, es ist die Realität in Kabul. Letzte Woche fand in der Stadt ein Filmfestival statt und jetzt rennen sie um ihr Leben. Es ist herzzerreißend zu sehen, aber die Welt tut nichts."
Unterdessen versinkt der Flughafen in Kabul im Chaos:
Hunderte oder vielleicht auch Tausende Menschen haben sich seit Sonntag zum Flughafen aufgemacht, um nach der Übernahme Kabuls durch die militant-islamistischen Taliban aus dem Land zu kommen. Bilder zeigen, wie sie überall am zivilen Teil des Flughafengeländes stehen oder über Drehleitern klettern, um in ein Flugzeug zu gelangen.
Die Leiterin des Südasien-Büros der britischen BBC schreibt: "Ein Volk, das verzweifelt und verlassen ist. Keine Hilfsorganisationen, keine UN, keine Regierung. Nichts."
Auch in der Stadt kommt es immer wieder zu chaotischen Szenen, wie dieses Video eines indischen Journalisten zeigt:
Die Kritik an den USA nimmt in der Zwischenzeit weiter zu. Die USA habe "Blut an den Händen", ist immer wieder zu lesen. Auch Vergleiche machen auf Twitter bereits die Runde, etwa zu den Terroranschlägen 9/11 oder dem Vietnamkrieg.
Die radikal-islamischen Taliban erklärte nach ihrer überraschend schnellen Einnahme der afghanischen Hauptstadt Kabul die Kämpfe für beendet, die Menschen sind verzweifelt. Ein afghanisches Mädchen weint: "Wir sind nicht von Bedeutung, weil wir aus Afghanistan kommen. Wir werden langsam in der Geschichte sterben."
Auch für Nothelfer, die zahlreich in Afghanistan arbeiten, ist die Situation extrem. Nach Angaben der Hilfsorganisation CARE seien aber alle Mitarbeiter in Sicherheit, ihre Ausreise aus dem Land werde zurzeit geprüft: "Unsere unmittelbaren Prioritäten sind nun die sichere Abreise der internationalen Mitarbeiter", heißt es von Rachel Kent, Pressesprecherin der NGO. Ein Interview sei aufgrund der derzeitigen Lage nicht möglich.
Man wolle die Arbeit in Afghanistan dennoch fortsetzen, obwohl es für Nothelfer ohnehin gefährlich sei. "Leider haben wir in diesem Jahr viele unserer Kollegen in Afghanistan verloren", schildert Marianne O'Grady, stellvertretende Länderdirektorin von CARE Afghanistan. Allein im Juni seien dort zehn Nothelfer bei Hilfseinsätzen ums Leben gekommen, "550 wurden im Land in den vergangenen 25 Jahren getötet - das ist weltweit die höchste Rate", so die Hilfsorganisation. Afghanistan sei "auch eines der tödlichsten Länder für Zivilisten: Im Jahr 2020 wurden hier laut den Vereinten Nationen mehr als 3.000 Zivilisten getötet, seit 2009 mehr als 38.000".
Simon Rothschädl