Salima Mazari sitzt lässig auf dem Beifahrersitz eines Pick-ups, der durch die braun-grünen Berge im Norden Afghanistans fährt. Aus dem Lautsprecher auf dem Autodach dringt Musik: "Heimatland - ich opfere mein Leben für dich", heißt es in dem Lied. Bezirks-Gouverneurin Mazari ist unterwegs, um ihre Wähler genau darauf einzuschwören: Sie rekrutiert Männer für den Kampf gegen die Taliban.
Seit US-Präsident Joe Biden Anfang Mai den längsten Krieg der USA für beendet erklärte und die Truppen nach Hause beorderte, hat die radikal-islamische Miliz weite Teile des ländlichen Afghanistans eingenommen. Auch Gebiete des Bezirks Charkint, den Mazari regiert, sind bereits unter der Kontrolle der Taliban. Doch noch haben die Islamisten hier in der abgelegen Bergregion etwa eine Stunde südlich von Mazar-i-Sharif in der Provinz Balkh noch nicht die Oberhand.
Und Mazari setzt alles daran, dies zu verhindern. Es steht viel auf dem Spiel. "Die Taliban treten die Menschenrechte mit Füßen", sagt die Gouverneurin. Ihre Haare bedeckt ein Schal mit Schmetterlingsmuster, eine große Sonnenbrille verbirgt ihre Augen.
Als die Taliban das ganze Land beherrschten, durften Mädchen nicht zur Schule gehen und Frauen nicht arbeiten. Nach ihrem Sturz 2001 durch die USA hat sich die Einstellung in der Bevölkerung nur langsam geändert. "Gesellschaftlich waren die Menschen nicht bereit, eine Frau an der Spitze zu akzeptieren", sagt Mazari.
Nicht nur als Frau in der Politik, sondern auch als Angehörige der Volksgruppe der Hazara ist die Gouverneurin für die Taliban ein Hassobjekt. Den sunnitischen Extremisten gelten die mehrheitlich schiitischen Hazara als ketzerische Sekte. Immer wieder sind sie Ziel von Angriffen.
Mazaris empfindet es als ihre wichtigste Aufgabe, den Widerstand gegen die Taliban zu organisieren. Etwa 600 Männer hat die Gouverneurin schon rekrutiert, um die regulären Sicherheitskräfte des Bezirks zu verstärken. Viele von ihnen sind Bauern, Hirten oder einfache Arbeiter. "Unsere Leute hatten keine Waffen, aber sie verkauften ihre Kühe, Schafe und sogar ihr Land, um Waffen zu kaufen", berichtet Mazari. "Sie stehen Tag und Nacht an der Front, ohne irgendwie dafür bezahlt zu werden."
Nur dieser Widerstand der Einheimischen habe verhindert, dass die Taliban bereits die Macht im Bezirk übernommen hätten, sagt der Polizeichef Sayed Nasir. Er humpelt seit er kürzlich bei einem Gefecht am Bein verletzt wurde.
Dörfer angegriffen
Der 53-jährige Sayed Munawar ist einer der Kämpfer. "Wir waren Handwerker und Arbeiter, bis sie unsere Dörfer angriffen", sagt er an seinem Posten, an dem Polizisten und Freiwillige gemeinsam die Stellung halten. "Als die Taliban ein Dorf in der Nähe eingenommen und geplündert haben, mussten wir einfach Waffen und Munition kaufen."
Faiz Mohammed hat sein Politikstudium unterbrochen, um gegen die Islamisten zu kämpfen. Drei Gefechte hat der 21-Jährige in den vergangenen drei Monaten miterlebt. "Der schwerste Kampf war vor ein paar Nächten, als wir sieben Angriffe abwehren mussten", sagt der Student. Er trägt Zivil und hört mit einem billigen chinesischem Handy traurige Hazara-Musik.
Die Dorfbewohner in Charkint erinnern sich mit Schrecken an die Zeit unter den Taliban. Das wollen sie nicht noch einmal erleben. Für Mazari wäre eine Rückkehr der Islamisten das sichere Ende als Politikerin. Aber es geht ihr nicht um ihren Posten. "Frauen hätten keine Chance mehr auf Bildung und unsere Jugend würde keine Arbeit mehr finden", sagt sie in ihrem Büro. Dort sitzt sie gerade mit den Milizenführern zusammen - die Vorbereitung auf das nächste Gefecht.