Internationale Tageszeitungen kommentieren die Flucht der weißrussischen (belarussischen) Olympia-Teilnehmerin Kristina Timanowskaja vor mutmaßlich drohenden Strafmaßnahmen des Lukaschenko-Regimes am Dienstag wie folgt:
"Corriere della Sera" (Mailand):
"Die belarussische Athletin, die am Sonntag in Tokio die Autoritäten in Minsk herausgefordert hat und sich gegen die gezwungene Rückreise wehrte, befindet sich in der japanischen Hauptstadt unter dem Schutz der polnischen Botschaft. (...) Für Kristina kommt nun das härteste Rennen, weil jetzt ihre Eltern ins Visier geraten sind: Gestern sind die Agenten von Präsident und Diktator Lukaschenko in deren Haus in Klimowitschi, einem Ort mit rund 17 000 Seelen an der Grenze zu Russland, gefahren. Es ist nicht leicht, Kurs zu halten gegen ein Regime, das daran gewöhnt ist, alle Formen von Dissens mit Gewalt zu ersticken."
"Times" (London):
"Während des Kalten Krieges nutzten mehrere Sowjetbürger ihre offiziellen, streng überwachten Reisen ins Ausland als Gelegenheit, sich abzusetzen. Es sagt einiges über die rücksichtslose Herrschaft von Präsident Lukaschenko aus, dass Belarus heute das einzige Land in Europa ist, das seine Bürger in einen ähnlichen Zustand der Verzweiflung versetzt. Seit seiner manipulierten Wiederwahl vor fast genau einem Jahr hat seine Sicherheitspolizei mehr als 32 000 Menschen festgenommen und führende Oppositionelle ins Gefängnis gesteckt oder ins Exil verbannt. Zu den vom Regime bestraften Personen gehören auch Sportlerinnen und Sportler.
Timanowskaja hat sicherlich zu Recht angenommen, dass auch sie daheim in Minsk Ärger erwartet, nachdem sie während der Spiele das Trainingssystem des Landes kritisiert hatte. (...) Das war ein doppelter Affront gegen das Regime, denn es wurde impliziert, dass sein Sportprogramm durch Doping belastet sein könnte und dass die belarussische Sportverwaltung inkompetent ist. Der Befehl kam also offensichtlich aus Minsk: Holt sie zurück."
"Star Tribune" (Minneapolis):
"Auch ohne am Montag ihren 200-Meter-Lauf zu absolvieren, hatte die belarussische Sprinterin Kristina Timanowskaja den Lauf ihres Lebens. Oder vielleicht war es sogar ein Lauf um ihr Leben. (...) Als Ausdruck humanitärer Solidarität, die die Olympischen Spiele idealerweise verkörpern, haben Spitzenpolitiker aus Slowenien, Litauen, Tschechien und Polen angeboten, Timanowskaja (...) einen sicheren Hafen zu bieten. (...)
Eine der vielen Eigenschaften der Spiele ist, dass das olympische Feuer ein Licht auf weltweite Probleme werfen kann, die oft im Dunkeln liegen. Dies war der Fall bei Timanowskaja, die im Kampf gegen eine Diktatur ebensoviel Mut zeigte, wie sie auf der Laufbahn zu zeigen hoffte."