Sie sind gegen den Gesundheitspass, gegen Impfungen, gegen Einschränkungen: Der Protest gegen die Ausweitung des Gesundheitspasses und die Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen in Frankreich hielt auch das dritte Wochenende in Folge an. Tausende Demonstranten zogen am Samstag durch die Straßen von Paris. Insgesamt gab es in mehr als 180 Städten Kundgebungen, darunter in Toulon, Montpellier, Bordeaux, Marseille und Nizza.

Rücksichtsloser Ruf nach Freiheit

Frankreich entwickelt sich gerade zur neuen europäischen Hauptstadt der Proteste gegen eine Verschärfung der Corona-Regeln. „Die Freiheit des Einzelnen hängt auch vom Gemeinsinn seines Nächsten ab. Wir sehen darin, was eine Nation ausmacht“, hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zuletzt betont. Er gab damit zu bedenken, dass die von Impfgegnern geforderte individuelle Freiheit durch die Impfung der anderen erkauft werde. 

Die neuen Bestimmungen in Frankreich treten am 9. August in Kraft und sehen eine Corona-Impfpflicht etwa für Gesundheits- und Pflegekräfte sowie Feuerwehrleute vor. Impfverweigerern in diesen Berufen droht eine Aussetzung des Gehalts. Beschlossen wurde auch eine Ausweitung des Gesundheitspasses, der Aufschluss über eine Impfung oder einen Negativ-Test gibt. Dabei soll nun erstmals eine Corona-Testpflicht für Nicht-Immunisierte in Gaststätten und Fernzügen sowie bei Messen und auf Jahrmärkten greifen.

Keine unwesentliche Rolle bei den Protesten in Frankreich spielen ehemalige Anführer der "Gelbwesten"-Bewegung, die sich vordergründig  gegen die Impfpflicht stellen, im Grunde aber gegen ihren Erzfeind, Präsident Emmanuel Macron, antreten, den sie auf Plakaten gern mit Hitlerbärtchen darstellen. Die Proteste der "Gilets Jaunes" ("Gelbe Westen") richteten sich ab 2018 gegen die Reformpolitik des Präsidenten Macron. Begonnen hatte alles mit Protesten gegen eine Benzinpreis-Erhöhung. Bei den Demonstrationen damals war es immer wieder zu Verwüstung und Gewalt gekommen, die Straßen in Paris glichen Schlachtfeldern, Geschäfte wurden demoliert, Autos abgefackelt.

Auch jetzt werden die Demonstrationen von Woche zu Woche gewalttätiger. Doch wer sind die Anführer dieser Proteste? Das Spektrum ist bunt, allerdings seien besonders viele Links- sowie Rechtspopulisten darunter, erklären Polit-Beobachter.

Jetzt würden sich wieder jene aus den Winkeln trauen, die unter normalen Bedingungen keine Chance in der Politik hatten. Florian Philippot, einst Stellvertreter von Marine Le Pen, der nach der Trennung vom Rassemblement National (zu Deutsch: Nationale Versammlung) in politischer Bedeutungslosigkeit versank, ist so einer. Er versucht mittlerweile die Corona-Protestbewegung in Frankreich für seine Zwecke zu instrumentalisieren, um wieder bekannt zu werden, und marschiert an vorderster Protestfront mit. Er ziehe Menschen an, sagen Politologen, die sich abgehängt fühlen und den Staat insgesamt ablehnen.

Florian Philippot, einst Stellvertreter von Marine Le Pen, bei den Protesten
Florian Philippot, einst Stellvertreter von Marine Le Pen, bei den Protesten © AFP

Marine Le Pen selbst gab Anfang Juli am Rande des Parteitages des RN erst nach hartnäckigem Nachfragen von Journalisten zu, doppelt geimpft zu sein. Sie hütete sich allerdings, eine Impfempfehlung auszusprechen. Nach einer Studie des Forschungsinstituts CEVIPOF der Universität SciencesPo sind die Impfgegner in größerer Zahl unter den Wählern des rechts- oder linksextremen Spektrums anzutreffen.

Fast die Hälfte der Sympathisanten von Le Pens Rassemblement National (47 Prozent) wollen sich nach Angaben dieser Studie nicht impfen lassen. Die Impfskepsis geht einher mit einem Vertrauensverlust in Wissenschaft, Staat, seine Institutionen, aber auch in Nachbarn und sogar Familienangehörige, sagt die Politikwissenschaftlerin Virginie Tournay, die die Studie betreut hat. Diese veränderte Wahrnehmung der Wirklichkeit habe deutlichen Einfluss auf das Impferhalten. So sei unter Impfgegnern das Gefühl weitverbreitet, nicht mehr Teil der Nation zu sein. Und just dann wird der Ruf nach Freiheit immer besonders laut. Doch was ist das für eine Freiheit, die keine Rücksicht auf andere nehmen will?

Freiheit verlangt immer auch nach Selbstbeschränkung, auffällig oft haben aber gerade jene, die ihren eigenen Freiheitswillen, ihre Individualität so besonders betonen, einen Hang zum Populismus.

Laut Innenministerium gingen allein in Paris am Samstag mehr als 14.000 Demonstranten auf die Straße.  Angeprangert wurde Macrons "Gesundheitsdiktatur". 3000 Polizisten waren im Einsatz.  Dabei muss Frankreich momentan vor allem gegen die vierte Corona-Welle kämpfen.

Die Demonstranten stehen keineswegs für die Mehrheit der Bevölkerung: In einer Umfrage des Instituts Elabe für den Sender BFMTV sprachen sich 76 Prozent der Franzosen für die Impfpflicht aus. Auch der Gesundheitspass stößt mehrheitlich auf Zustimmung. Die meisten Erwachsenen in Frankreich sind bereits vollständig geimpft.

Italiens Idee von "Freiheit"

Weit weniger Menschen als in Frankreich beteiligten sich zuletzt in Italien an Protesten gegen die neuen Corona-Maßnahmen der Regierung. In Rom zogen die Verweigerer "Freiheit" und "Nieder mit der Diktatur" skandierend durch die Straßen. Die meisten trugen keine Masken. Die Proteste fanden außer in Rom auch in Neapel, Turin und Mailand statt. 

Italien führt am 6. August ebenfalls einen Gesundheitspass für den Zugang zu geschlossenen Räumen wie Bars und Restaurants, aber auch Schwimmbädern, Sporthallen, Museen, Kinos und Theatern sowie Spielhallen ein. Betreibern, die die Maßnahmen nicht umsetzen, drohen empfindliche Strafen. Das als "Grüner Pass" bekannte Dokument wird an Menschen ausgegeben, die geimpft, getestet oder genesen sind.

Griechenland

In Griechenland, und da vor allem in der Hauptstadt Athen, liefern sich seit Wochen militante Impfgegner Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die ideologische Band der Demonstranten auch dort: extrem rechts oder extrem links. Und auch der Klerus ist mit von der Partie. Geistliche bringen zu den Demos Ikonen mit und schwenken Fahnen mit dem doppelköpfigen Adler, dem Symbol der orthodoxen Kirche. Anlass dieser Proteste ist die Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen, für Rettungssanitäter sowie Mitarbeitende von Alten- und Pflegeheimen. Wer sich bis Mitte August nicht impfen lässt, wird in unbezahlten Urlaub geschickt.

Neonazis verteilten bei den Demos in Athen Flugblätter, auf denen für eine neue ultra-nationalistische Partei geworben wird. Mit roten Flaggen marschierten Mitglieder des kommunistischen Gewerkschaftsbundes Pame auf. Er ist ein Ableger der stalinistischen griechischen KP. Vermummte Randalierer der griechischen Anarcho-Szene nutzen die Anti-Impf-Demos, um sich Scharmützel mit der Polizei zu liefern. Auch die Anhänger des Linksbündnisses Syriza fehlen nicht. Dessen Chef, Ex-Premier Alexis Tsipras, ist gegen eine Impfflicht. Einer der prominentesten Impfgegner ist der Arzt und Syriza-Politiker Pavlos Polakis, der unter Tsipras Vizeminister für Gesundheit war.

Die meisten Impfgegner gibt es in Griechenland in der Altersgruppe 17 bis 44 Jahre. Eine Umfrage im Auftrag der Athener Ärztekammer zeigte: Vier von zehn Impfgegnern glauben, dass sie niemals an Covid erkranken werden. Und dann gibt es auch die Trittbrettfahrer: Sie verzichten auf die Impfung im Vertrauen darauf, dass sich genug andere impfen lassen – damit auch sie geschützt sind.

Impfungen!

In Brasilien gingen die Menschen zuletzt auch zu Tausenden protestierend auf die Straße: Sie fordern allerdings von ihrer Regierung stärkere Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus. Viele tragen Transparente und Plakate auf denen steht:„Wir wollen Impfungen!“