Malu Dreyer ist am Freitag fast überall. Am Freitagmorgen besucht sie das Einsatzzentrum in Trier. „Die Lage ist weiterhin extrem angespannt in unserem Bundesland.“, sagt die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz.
Zwar fallen die Pegel an Mosel und Ahr langsam, aber die zurückgehenden Fluten legen das ganze Ausmaß der Zerstörungen offen. „Wir erhalten jede Stunde neue Hiobsbotschaften“, bekennt Dreyer zu Mittag nach einer Krisensitzung ihrer Landesregierung in Mainz und spricht von „gewaltigen und dramatischen“ Schäden.
Mehr als 130 Menschen sind in Deutschland in den Fluten ums Leben gekommen, darunter zwölf Bewohner eines Behindertenheims im Eifelort Sinzig. Im Süden von Rheinland-Pfalz ist das besonders betroffene Ahrtal am Freitag komplett abgesperrt und von der Außenwelt abgeschnitten. Die Kreisverwaltung hat alle Türen geschlossen. Nur das Abfallentsorgungszentrum ist geöffnet – „für die von Starkregen und Hochwasser Betroffenen“.
"Du kannst nichts machen"
„Du kannst nichts machen. Du siehst nur zu, wie die Fluten steigen, wie es kracht, wie die Häuser wegfliegen“, sagt Helmut Lussi, der Ortsbürgermeister von Schuld. Das Dorf in einer Schleife der Ahr wurde von der Flut besonders getroffen. Siebenhundert Menschen wohnen in Schuld, einer ist Heiner Engel. Im Rundfunk berichtet der ehemalige Lehrer über das Unwetter. Wie zuerst die Feuerwehr am Abend gekommen sei und ihn aufgefordert habe, sein Auto umzuparken.
Wie der Regen einfach nicht aufhörte. „Und dann kamen die Wassermassen“, sagt Schuld dem Radioreporter und fügt hinzu: „Es war wie Dantes Inferno.“
Das Inferno wütet an diesem Freitag weiter nördlich von Schuld. In Nordrhein-Westfalen steigen die Pegel weiter. Die Rurtalsperren schwappt seit Mitternacht über: In Erftstadt, südlich der Millionenstadt Köln, verwandelt sich die Erft in einen reißenden Fluss. Binnen Sekunden steigt das Wasser und unterspült Häuser im Stadtteil Blessem. Eine ganze Häuserzeile sei dort eingestürzt, teilen die Rettungskräfte gegen Mittag mit. Das Wasser der Erft habe Häuser an einer Kiesgrube unterspült und mit dem Geröll hinweggerissen. Auf ersten Aufnahmen ist ein riesiger Erdrutsch zu sehen. Weitere Opfer seien zu erwarten, erklären die Behörden.
Hubschreiber kreisen am Freitag über Erftstadt, um Eingeschlossene aus ihren Häusern zu retten. Erste Opfer werden geborgen, unter den Trümmern werden weitere Tote vermutet. Entgegen den Warnungen der Behörden waren die Menschen über Nacht in ihre Häuser zurückgekehrt. „Die Dimensionen sind noch nicht abschätzbar“, sagt Frank Rock, der Landrat des Rhein-Erft-Kreises.
Heiner Engel aus Schuld kennt das. „Ich hab‘ die Stiefel angezogen, Papiere eingepackt und bin in den Gummistiefeln raus“, sagt er dem Radioreporter und fügt hinzu: „Über die Terrasse, die es jetzt nicht mehr gibt.“ Im Jahr 1911 ist sein Haus erbaut worden, Bruchstein, wie üblich in der Ahr-Region. Die Terrasse ist hin. Und der Rest? „Ich bin noch nicht ins Haus reingekommen. Rund ums Haus riesige Anhäufungen Schutt“, schildert Engel.
Unwetterfront zieht ostwärts
Die Unwetterfront zieht am Freitag nach Osten ab, die Enttäuschungen und Unsicherheiten im Westen bleiben. Der Landkreis Ahrweiler, in dem auch Heiner Engel aus Schuld wohnt, meldet tausend Vermisste. Die Verwaltung fügt aber hinzu, das Mobilfunknetz sei zusammengebrochen.
Die Hoffnung, die sich dahinter verbirgt: Viele Vermisste sind von ihren Angehörigen schlicht einfach nicht erreichbar. „Wir geben die Hoffnung nicht auf“, sagt auch Ministerpräsidentin Dreyer, fast trotzig.
Am Nachmittag traf Dreyer Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). Die versprach Hilfen des Bundes. Weiter rheinabwärts in Düsseldorf trat Armin Laschet vor die Kameras. Er drückt als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen den Menschen im Land sein Mitgefühl aus. Als Unions-Kanzlerkandidat mahnt er plötzlich mehr Klimaschutz an und reklamiert eine Vorreiterrolle für Nordrhein-Westfalen. Heftige Kritik kommt von den Grünen.
Malu Dreyer sagt nur: „Wer jetzt noch nicht begriffen hat, dass der Klimawandel seine Folgen hat, dem ist nicht zu helfen.“ Ein kleiner Seitenhieb. Denn seit den Extremwettern ist klar: Der Bundestagswahlkampf hat ein neues Thema: den Klimaschutz. Nicht unbedingt ein Vorteil des Unionskandidaten und Kohleverfechters Armin Laschet.
unserem Deutschland-Korrespondenten Peter Riesbeck