Wenige Tage nach dem außergewöhnlichen Sonntag auf Kuba fragen sich die Menschen immer noch, was da eigentlich passiert ist. Derartige Proteste, die mittlerweile sogar ein Menschenleben gefordert haben, hat es auf Kuba nach der Revolution 1959 kaum gegeben. Und derart aggressiv hat noch niemand in Kuba Kritik an dem kommunistischen Regime geäußert.

Aber dass die Proteste jetzt so heftig und so scheinbar aus dem Nichts stattfinden, hat eine innere Logik, eine historische Berechtigung und auch äußere Faktoren. Klar ist, dass das der Anfang von etwas Neuem auf Kuba ist. Ob es sich zu einer Art „Karibischem Frühling“ entwickelt, werden die nächsten Wochen zeigen.

Vier Auslöser der Proteste

Man kann trotz allem mindestens vier Faktoren und Auslöser benennen, die zur jetzigen Entwicklung geführt haben. Erstens ist es die Coronakrise. Zweitens ist es das wirtschaftliche Desaster auf der Insel, was auch mit der Pandemie zu tun hat.

Abgang der Revolutionsgeneration

Drittens ist es die Verfügbarkeit von Internet. Und last, but not least geht es auch um den Abgang der Revolutionsgeneration aus der Politik. Kein Castro ist mehr im aktiven politischen Geschäft vertreten. Jedenfalls steht der noch recht neue und nach der Revolution geborene Staatschef Miguel Díaz-Canel vor der größten Herausforderung seiner noch jungen Amtszeit.



Kuba konnte die Pandemie länger in Schach halten, weil die Regierung das Land zusperrte, harte Restriktionen verhängte und die Bevölkerung – zumindest war das bisher so – den Anweisungen der Regierung Folge leistete. Aber jetzt wird auch die Insel hart getroffen mit einer den höchsten Ansteckungszahlen in Lateinamerika. Zudem kursieren Videos von kollabierenden Spitälern im Netz, die selbst entwickelten Impfstoffe kommen zu spät und gehen erst jetzt in Produktion.

Schlangestehen

Infolge der Krise haben sich die Ärmeren wirtschaftlich noch weiter einschränken müssen. Stundenlanges Schlangestehen für Lebenswichtiges im Lockdown – das ist ein Widerspruch in sich. Zudem zerren die Stromabschaltungen an den Nerven der Kubaner und Kubanerinnen.

Der wichtigste Punkt ist aber wohl die späte und doch überhastete wirtschaftliche Öffnung, die zu großen ökonomischen Problemen geführt hat. Zu Jahresbeginn hatte die Regierung die Doppelwährung abgeschafft und nach einem Vierteljahrhundert den konvertiblen, an den Dollar gekoppelten Peso CUC vom Markt genommen.

Preis-Schock

Dann verschwinden die meisten der unrentablen Staatsbetriebe, bei denen 70 Prozent der arbeitenden Kubaner angestellt sind. Auch Subventionen und Lebensmittelrationen werden sukzessive abgeschafft. Diese Reform hat zu einem Preisschock, zu Hamsterkäufen und zu einer Rationierung mehrerer Lebensmittel geführt.

Die Proteste Hunderter am Sonntag nahe Havanna wurden durch Videos in Echtzeit in den sozialen Netzwerken auf der ganzen Insel übertragen. Die Menschen fühlten sich dadurch angesprochen und machten mit.
Das Internet hat der Regierung das Informationsmonopol genommen. Das Verhältnis zwischen Volk und Führung wird auf eine neue Basis gestellt. Darauf muss Díaz-Canel, der seit drei Jahren Staatschef ist und seit drei Monaten auch Parteichef, umgehend antworten. Nicht, indem er das Internet abdreht, sondern konstruktiv. Sonst kann er sein System nicht retten.