Auch Bulgariens zweite Parlamentswahl in drei Monaten hat dem Balkanstaat keine klare Mehrheiten gebracht. Nach Auszählung von 95 Prozent der Stimmen liegt die rechtspopulistische Gerb von Ex-Premier Bojko Borissow mit 23,9 Prozent mit einem hauchdünnen Vorsprung vorne.
Als eigentlicher Wahlsieger kann sich die populistische, im April erstmals ins Parlament eingezogene Protestpartei „Es gibt ein solches Volk“ (ITN) des Showman Slawi Trifonow fühlen: Laut Prognosen konnte sie ihren Stimmenanteil von 17,4 auf 22 Prozent Prozent steigern. Mit der erstarkten bürgerlichen DB (13,5 Prozent) und dem linken Wahlbündnis „Aufstehen – Mafia raus!“ ( 5,1 Prozent) ist zwei weiteren im Frühjahr ins Parlament gelangten Protestparteien erneut der Sprung über die Vierprozenthürde geglückt.
Die oppositionellen Sozialisten (BSP) zeigen sich als drittstärksten Partei mit knapp 14 Prozent. Wie nach dem Urnengang im April wird in Sofia erneut mit einer mühsamen Regierungsbildung gerechnet. Denn die ITN lehnt nicht nur eine Koalition mit Gerb, sondern auch mit der BSP sowie der als Oligarchenpartei verschrieenen DPS (10,4 Prozent) der türkischen Minderheit strikt ab.
Eine Option wäre eine von der BSP tolerierte Minderheitskoalition der Protestparteien.
Die jüngste Wendung: Der Triumphator von Bulgariens Parlamentswahl will es alleine und ohne Mehrheit versuchen. Eine Regierung ohne Koalitionspartner hat der Showman Slawi Trifanow, der Chef der populistischen Protestpartei ITN, angekündigt - und den Ex-Wirtschaftsminister Nikolai Wassilew als Wunschpremier nominiert. Bei der Konkurrenz stößt sein Schattenkabinett und Programm auf Skepsis. Eine rasche Regierungsbildung scheint nicht in Sicht.
Ende der Ära Borissow
Unabhängig davon, wie lange die Regierungsbildung währen wird, steht der Balkanstaat vor einer Zäsur und dem Ende der Ära von Ex-Premier Borissow: Die erneuten Verluste und der anhaltende Niedergang der Gerb-Partei, deren Stimmenanteil sich seit 2009 nahezu halbiert hat, machen sein etwaiges Comeback bei den Präsidentschaftswahlen eher unwahrscheinlich.
Fast eineinhalb Jahrzehnte hatte der frühere Leibwächter als Regierungschef und Bürgermeister von Sofia das Geschehen auf Bulgariens Politparkett bestimmt. Seine karge Erfolgsbilanz wurde dabei von einer endlos langen Kette von Skandalen und Korruptionsvorwürfen überschattet.
Seit 2009 bis zu den Parlamentswahlen im April hatte der bullige Hobbykicker die Regierungsgeschäafte in wechselnden Koalitionen mit zwei kurzen Unterbrechungen geführt. Den Ausbau der Infrastruktur kann sich der gerne als „Macher“ präsentierende Borissow zu Gute schreiben. Korruption, Mediengängelung, zweifelhafte Oligarchen-Bande und den Entwicklungsrückstand des Landes werfen ihm hingegen seine Kritiker vor.
Tatsächlich hat der Balkanstaat die Chance des EU-Beitritts von 2007 nur schlecht genutzt: 14 Jahre nach Beitritt zu Europas Wohlstandsbündnis ziert das ärmste EU-Mitglied noch stets das Ende aller Sozialstatistiken.
unserem Korrespondenten Thomas Roser