Eine Reihe tarngrau gestrichener Hummer-Jeeps steht auf einem Feldweg, Männer in Kampfanzügen oder in nachlässiger Kleidung laufen herum oder palavern, Sturmgewehre werden auf einen Haufen geworfen. Zu sehen auf einem Video, das laut russischer Agentur Sputnik-Tadschikistan eine Fahrzeugkolonne amerikanischer Produktion zeigt, die die Taliban im Norden Afghanistans erbeutet haben. Nach fast 20 Jahren haben US- und andere NATO-Soldaten gestern ihren größten Stützpunkt in Afghanistan verlassen.

Und schon treiben die islamistischen Guerilleros die Truppen der von Amerika gestützten Zentralregierung unter Präsident Aschraf Ghani aus dem Land.


An mehreren Punkten haben die Taliban die Grenzen zu den zentralasiatischen Nachbarländern erreicht. Nach Angaben des tadschikischen Staatskomitees schlugen sie an der tadschikisch-afghanischen Grenze in der Nordprovinz Balch reguläre Truppen in die Flucht. Vorher waren bei tagelangen Kämpfen um die Grenzstadt Schir Chan Bandar in der Provinz Kundus über hundert Regierungssoldaten von den Taliban getötet, verletzt oder gefangen worden. Schließlich flohen vergangenen Dienstag 134 Soldaten nach Tadschikistan, einen Tag später retteten sich 53 ihrer Kameraden aus dem umkämpften Landkreis Schortepa in der Balch-Provinz ins benachbarte Usbekistan. Auch die Stadt Masar I Scharif, unlängst noch Hauptquartier des deutschen Bundeswehrkontingents in Afghanistan, wird nach Angaben des TV-Senders TOLOnews von Taliban belagert.


Die Staatschefs Usbekistans und Tadschikistans, Schawkat Mirsijojew und Emomali Rachmon, telefonierten besorgt miteinander, in mittelasiatischen Hauptstädten wird schon darüber spekuliert, wie viele Monate es braucht, bis die Taliban Ghanis Regierung stürzen.

Furcht vor Wiedererstarken des Terrors


Auch in Moskau fürchtet man ein region
ales Wiedererstarken des islamistischen Terrors. „Die Lage in Afghanistan degeneriert, je weiter der Abzug der US- und NATO-Streitkräfte voranschreitet“, sagte Nikolai Patruschew, Sekretär des russischen Sicherheitsrates, vergangene Woche.


Internationale Terrornetze wie der IS oder Al Quaida erhielten neue Möglichkeiten, ihre Aktivitäten in dem Land auszuweiten. Aber es ist unklar, wie stark etwa der IS in Afghanistan wirklich ist. Während die Taliban seit Mai über 50 von knapp 400 afghanischen Bezirken eingenommen haben, gelang das IS-Kämpfern noch in keinem Bezirk.


Es häufen sich jedoch die Befürchtungen, dass sie bald auch IS-Trupps oder Scharen der usbekisch-tadschikischen Extremistenformation „Dschaamat Ansarullah“ auf die Gebiete der nördlichen Nachbarn drängen könnten.


„Aber ich glaube nicht, dass der Konflikt über die Grenzen Afghanistans hinausgetragen wird“, sagt der Moskauer Mittelasien-Politologe Juri Solosubow. Zum einen sei der Sieg der Taliban noch nicht sicher, innerhalb des Landes würde es neue Akteure geben, wie etwa die türkischen Truppen, die künftig den Flughafen von Kabul sichern. Auch professionelle Söldnertruppen könnten den Abzug der NATO kompensieren. „Und es fehlt eine ausländische Macht, die daran interessiert wäre, einen Kleinkrieg afghanischer Islamisten in den zentralasiatischen Nachbarländern zu finanzieren.“