In Armenien kämpft Ministerpräsident Nikol Paschinjan am Sonntag bei vorgezogenen Parlamentswahlen um sein Amt. Der einstige demokratische Hoffnungsträger steht politisch mit dem Rücken zur Wand, nachdem Aserbaidschan im Vorjahr rund zwei Drittel der armenischen Enklave Bergkarabach zurückerobert hatte.
Die politische Lage in der Südkaukasus-Republik Armenien ist seit dem verlorenen Krieg gegen Aserbaidschan im vorigen Herbst instabil. Armenien verlor die Kontrolle über die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörende, mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region Berg-Karabach, die es sich in einem Krieg Anfang der 1990er-Jahre gesichert hatte. Das großteils von Russland vermittelte Waffenstillstandsabkommen verlangte Armenien große Zugeständnisse ab.
Viele Armenier waren enttäuscht von Paschinjan. Sie nannten den Premier einen "Verräter", warfen ihm die militärische Niederlage gegen die hochgerüsteten Aserbaidschaner vor und forderten den sofortigen Rücktritt. Einige randalierten und besetzten in der Hauptstadt Eriwan kurzfristig sogar das Regierungsgebäude.
Paschinjan setzte vorgezogene Neuwahlen an, die nun am Sonntag stattfinden. Laut Umfragen verliert Paschinjan zwar massiv an Stimmen. Bei einem Sieg - wenn er auch bescheidener ausfallen dürfte als Ende 2018 - wäre er aber dennoch gestärkt, weil er neu legitimiert wurde. Der Druck von der Straße könnte sich dann abschwächen, vermuten Kaukasus-Experten, zumal es keine wirkliche politische Alternative zu Paschinjan gebe.
2018 wurde Paschinjan Armeniens Premier. Der ehemalige Journalist und Oppositionspolitiker hatte die landesweiten Proteste gegen Sersch Sargsjan angeführt, der das Land ein Jahrzehnt lang autoritär gelenkt hatte. Paschinjans Protestzug richtete sich gegen die Hauptprobleme Armeniens: Korruption und Vetternwirtschaft.
Mit 30.000 Quadratkilometern ist Armenien etwa so groß wie Belgien. Das christliche Land ist umgeben von islamisch geprägten Staaten. Die Kriege der Vergangenheit waren auch religiös bedingt, sie belasten bis heute die Beziehungen zu den Nachbarn Aserbaidschan und Türkei. Die Grenzen zu diesen Nachbarn sind geschlossen.
Nur über die schmale Grenze zum Iran und über Georgien kann Armenien hinaus in die Welt und Handel treiben. Auch die Folgen des schweren Erdbebens von Spitak im Jahr 1988 mit Zehntausenden Toten lasten auf dem Gemüt der Menschen in dem armen Land, das nur wenige Rohstoffe hat.
Mehr als sieben Millionen Armenier leben im Ausland, in der Diaspora. Fast jeder dieser Diaspora-Armenier hat ein Bild des Ararat im Haus. Der Berg, an dem die Arche Noah nach der Flut gestrandet sein soll, ist das Nationalsymbol, das allerdings in der Türkei liegt. Von armenischer Seite lässt sich der Berg, den sich einst die Osmanen schnappten, nicht besteigen.
Armenien braucht heute Verbündete mehr denn je. Das ist mit ein Grund dafür, dass die ehemalige Sowjetrepublik unter Paschinjan wieder enger mit Moskau zusammenarbeitet.
Die Hauptstadt Eriwan feierte 2018 den 2800. Geburtstag. Das bergige Land im Südkaukasus gilt als Wiege des Christentums. Es war Armenien, das vor gut 1700 Jahren als erstes Land das Christentum zur Staatsreligion erhob. Zwischen 1915 und 1917 wurde dieses Volk aber fast ausgelöscht. Während des Ersten Weltkriegs beschloss die nationalistische jungtürkische Regierung des Osmanischen Reiches, die christliche armenische Bevölkerung aus ihren Siedlungsgebieten in Anatolien deportieren zu lassen, sie zu massakrieren, massenweise zu töten oder sie auf Todesmärsche durch die syrische Wüste zu schicken. 1,5 Millionen Armenier starben dabei. Die Nationalsozialisten bewunderten die Jungtürken.