Ebrahim Raisi hat die Präsidentenwahl im Iran mit mehr als 62 Prozent der Stimmen gewonnen. Der Spitzenkandidat der Hardliner erhielt mindestens 17,8 Millionen Stimmen, wie ein Sprecher des Innenministeriums am Samstag mitteilte. 28,6 Millionen Stimmen wurden demnach insgesamt abgegeben. Raisi wird damit Nachfolger von Hassan Rouhani, der nach zwei Amtsperioden nicht mehr zur Wahl antreten durfte. Die Vereidigung des neuen Präsidenten ist für August geplant. Wahlberechtigt waren mehr als 59,3 Millionen Iraner. Die Höhe der Wahlbeteiligung war zunächst unklar. Es wurde jedoch mit einer niedrigen Beteiligung gerechnet.
Schon vor Bekanntgabe der Teilergebnisse hatten alle drei Gegenkandidaten Raisis dem ultrakonservativen Justizchef zum Wahlsieg gratuliert. Rouhani hatte zudem erklärt, sein Nachfolger sei im ersten Wahlgang gewählt worden. Den Namen des Wahlsiegers hatte er jedoch nicht genannt.
An Rouhani gescheitert
Der 60 Jahre alte Justizchef Raisi war vor vier Jahren noch an Rouhani gescheitert, dieses Mal stellte sich sein Weg ins Präsidialamt wesentlich leichter dar. Dafür sorgte auch der sogenannte Wächterrat, der als Wahlgremium ernsthafte Konkurrenten vor dem Urnengang aussortierte. Dies führte auch in den eigenen Reihen zu heftigen Protesten - und zu großem Desinteresse der Menschen an einer Wahl, die weithin als inszeniert und undemokratisch wahrgenommen wurde.
Politischer Kurswechsel erwartet
Mit Raisi erwarten Medien und Beobachter einen politischen Machtwechsel im Land. Ihrer Überzeugung nach wird der erzkonservative Kleriker als Präsident den moderaten Kurs Rouhanis nicht fortsetzen. Als langjähriger Staatsanwalt, Richter und seit 2019 Justizchef hat er politisch wenig Erfahrung. Dennoch steht er schon am Anfang seiner Amtszeit vor vielen politischen Herausforderungen.
So muss er vor allem über die Zukunft des Wiener Atomabkommens von 2015 entscheiden. Nach dem Rückzug der USA aus dem internationalen Abkommen 2018 hat Teheran schrittweise die vereinbarte Beschränkung und Kontrolle der Atomanlagen aufgehoben. Nicht zuletzt die US-Sanktionen verursachten eine schwere Wirtschaftskrise im Iran. Für einen Fortbestand des Abkommens wären Verhandlungen mit dem Erzfeind USA erforderlich. In der Nahost-Politik erwarten Beobachter unter Raisi einen radikaleren Kurs, im Verhältnis zu Israel einen gar noch feindseligeren als bisher.
Als Topfavorit gehandelt
Der erzkonservative Justizchef Raisi wurde schon im Vorfeld als Topfavorit gehandelt. Dem reformorientierten Ökonomen Hemmati wurden nur Außenseiterchancen eingeräumt, insbesondere über Proteststimmen. Laut Innenministerium soll das Endergebnis am Sonntag bekanntgegeben werden.
Aber bei einem klaren Trend zugunsten Raisis könnte dieser schon am Samstag als neuer Präsident und Nachfolger von Hassan Rouhani feststehen. Rouhani durfte nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten. Sollte kein klarer Gewinner aus der Abstimmung hervorgehen, findet am 25. Juni eine Stichwahl statt.
Geringe Wahlbeteiligung
Als erster gab am Freitag das geistliche Oberhaupt des Landes, Ayatollah Ali Khamenei, in der Hauptstadt Teheran seine Stimme ab - als Vorbild für die gut 59 Millionen Wahlberechtigten. "Je eher ihr diese Aufgabe und Pflicht erfüllt, desto besser", sagte der 81-Jährige. Die Abstimmung "dient dazu, die Zukunft" des iranischen Volkes aufzubauen. Dennoch lag die Wahlbeteiligung nach zwölf Stunden laut Nachrichtenagentur Fars landesweit erst bei 37 Prozent.
Nachfahre des Propheten
Der 60-jährige Geistliche Raisi sieht sich als Nachfahre des Propheten Mohammed, im schiitischen Klerus hat er den zweithöchsten Rang eines Hojatoleslam inne. Als Politiker präsentiert sich der Ultrakonservative als "unerbittlicher" Kämpfer gegen Armut und Korruption. Von den ursprünglich knapp 600 Bewerbern hatte der Wächterrat nur sieben Kandidaten zugelassen. So durfte der moderat-konservative Ex-Parlamentspräsident Ali Larijani, Chefunterhändler des Atomabkommens, überraschenderweise nicht kandidieren. Drei weitere Anwärter warfen zwei Tage vor der Abstimmung das Handtuch.
Drei Gegenkandidaten
Gegen Raisi traten damit nur drei Kandidaten an: der Abgeordnete Amirhossein Ghazizadeh-Hashemi, der frühere Chef der Revolutionsgarden, Mohsen Rezaee (Resai), und als einziger reformorientierter Kandidat Ex-Zentralbankchef Abdolnasser Hemmati.
Viele Wähler gaben an, ihre Stimme Raisi geben zu wollen. Die Krankenschwester Sahebiyan sagte, sie hoffe, dass er "das Land voranbringt und die Menschen vor wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Entbehrung bewahrt".
Während im iranischen Staatsfernsehen Bilder von Flaggen schwenkenden Wählern dominierten, wurde abseits der Kameras vielfach Unmut laut. "Ob ich jetzt wähle oder nicht, es wurde schon jemand gewählt", sagte der Teheraner Geschäftsbetreiber Said Sareie mit Blick auf die Vorauswahl der Präsidentschaftskandidaten. "Sie organisieren die Wahlen für die Medien." Der Teheraner Automechaniker Nasrollah sagte: "Alle Familien stehen vor wirtschaftlichen Problemen. Wie können wir für diese Leute stimmen, die uns das angetan haben?"
Aufruf zum Wahlboykott
Die iranische Exil-Opposition hatte zum Boykott der Wahl aufgerufen. Sie sieht in der Abstimmung in erster Linie den Versuch, den Einfluss der Ultrakonservativen im Land zu zementieren. Angesichts der schweren wirtschaftlichen und sozialen Krise im Iran ist die Unzufriedenheit der Bürger groß. Die Wirtschaft des ölreichen Landes ist infolge der strikten US-Sanktionen am Boden, die Bevölkerung leidet unter der anhaltenden Inflation und Arbeitslosigkeit. Die Corona-Krise verschlimmerte die Lage zusätzlich.
Die politische Macht liegt im Iran seit der Revolution 1979 beim geistlichen Oberhaupt des Landes. Als höchster Vertreter des Staatsapparats übt der Präsident jedoch bedeutenden Einfluss etwa in der Industriepolitik und der Außenpolitik aus.
Amnesty fordert Ermittlungen gegen Raisi
Amnesty International hat am Samstag erneut Ermittlungen gegen den gewählten iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi wegen dessen Rolle bei den von Washington und Menschenrechtsgruppen als solche bezeichneten "außergerichtlichen Hinrichtungen" Tausender politischer Gefangener im Iran im Jahr 1988 gefordert.
Der Iran hat die Massenhinrichtungen nie anerkannt und Raisi hat sich nie öffentlich zu seiner Rolle geäußert. Einige Kleriker behaupten, die Prozesse seien fair gewesen und lobten die "Beseitigung" der bewaffneten Opposition in den frühen Jahren der islamischen Revolution von 1979.
"Die Umstände des Schicksals der Opfer und der Verbleib ihrer Leichen werden von den iranischen Behörden bis heute systematisch verschwiegen, was auf anhaltende Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinausläuft", sagte Amnesty-Generalsekretärin Agnès Callamard in einer Erklärung.